Hamburg ist eine Shopping-Center-Stadt (siehe Tabelle), die Innenstadt an sich steht Berechnungen zufolge gerade mal für ein knappes Fünftel der Handelsumsätze. Von den Centern könnten es laut Engler künftig einige schwerer haben. Zum Beispiel? "Die Hamburger Meile, da fahren viele Leute sicher einfach ein paar Stationen weiter zum Überseequartier."
Engler rechnet mit einer Anlaufzeit von ein bis drei Jahren für den neuen Handelsstandort in der Hafencity. "Er wird sich finden müssen. Es muss sich vor allem zeigen, ob das Überseequartier nicht nur ein Wochenendstandort sein wird. Das wird für die Mieter entscheidend sein, denn die müssen ja auch für den Rest der Woche Miete zahlen." Und ob die Kreuzfahrtschiffe tatsächlich so viel Frequenz bringen, da hat sie so ihre Zweifel.
Zwiespältig betrachtet auch
Brigitte Nolte, Leiterin der Geschäftsstelle Hamburg beim Handelsverband Nord, die Lage. Lange hätte sich der Innenstadthandel gegen die große neue Verkaufsfläche im Überseequartier gewehrt. "Das Flächenwachstum in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten war ohnehin hoch und die Situation im stationären Handel ist angespannt, die Konsumstimmung gedämpft." Es gebe Leerstände, einige Flächen in der Stadt seien nicht gut bespielt. Die Händler in der City seien in großer Aufregung ob des großen neuen Mitbewerbers am Hafen. Aber: "Insgesamt ist das Überseequartier natürlich ein faszinierendes Projekt und wird langfristig sicher auf Hamburg als Retail-Destination einzahlen."
Die Innenstadt stecke in einer schwierigen Phase. Immer noch seien die Touristen nicht wirklich zurück, ihre Zahl liege weiter um die Hälfte hinter dem Vor-Corona-Niveau, so Nolte. Hinzu kommt: Die Gastronomie habe massive Personalprobleme, die zu eingeschränkten Öffnungszeiten führten und sich so auf die gesamte Frequenz auswirkten.
Die Prozesse in Hamburg sind laut Nolte sehr zäh. Schon 2021 hat die Stadt einen Innenstadt-Koordinator angekündigt, der sich um alles in der City kümmern und zwischen den vielen verschiedenen Interessensträgern, die beim Thema Einzelhandel zusammenkommen, vermitteln soll. Immer noch aber sei die Stelle nicht ausgeschrieben. Zwar habe Hamburg das Programm "Freifläche" gegründet, um Zwischenvermietungen und Umbaumaßnahmen zu finanzieren. "Doch in der Innenstadt machen viele Vermieter nicht mit, weil sie sich offenbar eine zügige langfristige Nachvermietung versprechen."
Glaubt Nolte an den Erfolg des Überseequartiers? "Ein ganz wesentlicher Faktor ist die Erreichbarkeit, und die halte ich für schwierig, weil das Center wegen des Wassers von drei Seiten aus nicht erreichbar ist." Und die Kreuzfahrer gingen sicher auch lieber in die Innenstadt als ins Center. "Außerdem darf man deren Kauflust auch nicht überschätzen. Die Ausgaben liegen pro Gast unter 100 Euro, inklusive allem, also auch Gastronomie." Aber: "Der Standort bietet natürlich auch Chancen. Toll, dass ein Unternehmen wie Breuninger den Mut hat und diese Chancen nutzen will."
Nicht ganz so toll dürfte man das bei dem bereits existierenden Hamburger Department Store Alsterhaus finden: Seit 110 Jahren thront das zur KaDeWe Group gehörende Flaggschiff am Jungfernstieg, gerade wurde es frisch überholt. Geleitet wird das Haus von General Manager
Alexandra Bagehorn. Sie sagt: "Wir begrüßen die große Investition mit dem Westfield Überseequartier sehr, die vor allem den Tourismus und die Frequenzen in Hamburg einmal mehr verstärken wird."
Eine Bedrohung für das Alsterhaus scheint sie durch das Überseequartier und Breuninger aber nicht zu sehen: "Der Jungfernstieg mit seinem ganz besonderen Flair der alten und denkmalgeschützten Gebäude, der Binnenalster, der Atmosphäre rund um die Fleets sowie den besten Hotels steht dabei ganz für sich." Man habe viel in die Neuausrichtung investiert und stehe für ein exklusives Einkaufserlebnis, das alle Sinne unter einem Dach anspricht. "Es besteht eine lange Verbundenheit der Hamburger zu ihrem Alsterhaus und dies wird immer so sein."
Richtig zufrieden mit ihrem Standort am Jungfernstieg ist
Bagehorn aber offenbar trotzdem nicht. Man wolle die Verweildauer am Jungfernstieg "mit guten Konzepten erhöhen." Dazu sei man in enger Abstimmung sowohl mit der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen als auch dem Amt für Landesplanung und Stadtentwicklung. Was die Anbindung des neuen Stadtteils betrifft, sieht die Alsterhaus-Chefin Luft nach oben: "Es ist sehr wichtig, dass das Überseequartier mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut mit der Innenstadt verbunden ist, was heute noch nicht gegeben ist."
Das glaubt auch Shopping-Center-Experte
Klaus Striebich. Er war selbst viele Jahre Vermietungschef des URW-Konkurrenten ECE und arbeitet mittlerweile mit seiner eigenen Firma RaRE Advise als Berater an der Schnittstelle zwischen Retail und Immobilien. An einen Austausch zwischen der Innenstadt und Westfield Überseequartier glaubt er nicht. "Die Anbindung ist schlecht, die Anfahrt mit dem Auto schwierig. Der Standort wird stark auf Touristenströme angewiesen sein."
Dass URW aber jetzt den Deal mit Inditex präsentiert, sei "sehr schlau. Das könnte die Vermarktung erleichtern und die Bremsen lockern in den Köpfen vieler Retailer und Expansionsmanager. Ob das allerdings reicht, ist fraglich." Unter dem Kaufkraftabzug durch das Überseequartier sieht er am ehesten die Mönckebergstraße und die Spitalerstraße leiden. "Aber auch Alstertal-Einkaufszentrum, Elbe Einkaufszentrum und Phoenix-Center könnten ein paar Prozentpunkte verlieren. Das klingt wenig, ist aber langfristig schmerzhaft für diese Standorte."
Und was sagen diejenigen, die die Flächen im Center mieten bzw. bespielen sollen, die Einzelhändler? Hört man sich unter ihnen um, herrscht eine Mischung aus Begeisterung für die spektakuläre Dimension des Projekts und Respekt vor der harten Realität des Marktes. Nicht selten fällt der Name Skyline Plaza, ein ECE-Center in einem neuen Stadtteil im Westen von Frankfurt, in dem viele Mieter bis heute nicht glücklich sind.
Ingo Hesse, Deutschlandchef des expansiven holländischen Beauty-Filialisten Rituals, ist einer der wenigen, der sich bereits jetzt offensiv zum Überseequartier bekennt: "Wir sind auf jeden Fall dabei und werden einen für unsere Verhältnisse großen Store eröffnen."
Ansonsten ist die Unentschlossenheit groß. "Ich habe kein gutes Gefühl", sagt der Expansionsmanager einer deutschen Mainstream-Modemarke. "Breuninger und Zara wurden für viel Geld eingekauft und wir sollen jetzt hohe Mieten zahlen, damit die Rechnung für URW aufgeht." Außerdem sei das Center nicht gut angebunden.
Auch der Expansionsmanager eines internationalen Fast Fashion-Konzerns ist skeptisch: "Ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass die Schiffe anlegen und die Touristen das Center fluten. Andererseits haben wir mit URW in der Mall of the Netherlands zuletzt super Erfahrungen gemacht. Die machen einen guten Job und wir haben viel Vertrauen in ihre Arbeit."
Die Private Textiles Holding Group aus Bischofswerda ist Deutschlands größter Mode-Franchisenehmer. Expansionsmanager Robert Riedel sagt: "Einige unserer Marken werden hier wohl über eigene Läden verhandeln. Für die anderen Labels wollen wir versuchen, uns ein Bild zu machen und reden deshalb gerade viel mit Leuten aus der Branche und aus Hamburg."