Messen

EuroShop 2017: Rethink Retail

Digital oder tot. Natürlich könnte man ob der wachsenden Marktmacht von Amazon&Co. in Panik verfallen. Wer braucht noch Läden? Dieser Tage treffen sich über 100.000 Menschen auf der EuroShop in Düsseldorf (5. bis 9. März 2017), der weltweit führenden Investitionsgütermesse für den Handel. Sie alle wollen investieren. In Steine, in Design, in Atmosphäre. Dummköpfe? Diese Diskussion wurde an vielen Stellen geführt. Kürzen wir es ab: Es wird immer Läden geben. Im Spannungsfeld zwischen Kunde und Kosten müssen sie aber vieles leisten, um zukunftsfähig zu sein: attraktiv und altersgerecht, emotionsgeladen und energieeffizient, vibrierend und vernetzt. Elf Fragen, elf Expertenmeinungen.

Sabine Krieg, Global Head of Segment Retail Vitra

Individualisierung vs. Standardisierung – Wo geht die Reise in der Ladengestaltung hin?

„Die Zunahme des Storytellings und des Wettbewerbs hin zum Außergewöhnlichen wird weiter zunehmen. Der Drang zu permanentem Wandel und Inszenierung geht Hand in Hand mit einem verkürzten Umbauzyklus. Leider stehen diesen Trends aber auch Budgetkürzungen gegenüber. Die Antwort für den Händler können Ladengestaltungskonzepte sein, die es ermöglichen die Einrichtung anzupassen und zu verändern. Die notwendige Flexibilität kann durch den Einsatz standardisierter, ausgeklügelter Systemkomponenten erzielt werden, die den nötigen Freiraum für solche Individualisierungen bieten. Die Alternative oder Ergänzung sind elektronische Medien, deren Bespielung diesen Drang nach Veränderung des Erscheinungsbildes (über den abgespielten Inhalt) nachkommen. Vitra bietet hier Kombinationen beider Ansatzpunkte: flexible, stromführende Systeme im Standardkatalog, die eine nahtlose Aufnahme von LED-Licht für die Beleuchtung der Ware und für alle Arten digitaler Komponenten (wie Lightboxen, Monitore, Labelings u.a.) ermöglichen.“

John Penther, CEO Penther

Emotionalisierung ist ein Schlüsselbegriff im Visual Merchandising. Welche Konsequenzen hat das für die Schaufensterfiguren? Wie naturalistisch dürfen sie sein?

„Die Figur ist wichtiger denn je. Digitalisierung ist in aller Munde, Emotionalisierung der Flächen und Läden sowieso. Figuren können die Brücke zwischen diesen Polen schlagen. Um erfolgreich zu verkaufen, muss aber das Gesamtpaket stimmen, von der Kollektion über die Präsentation bis zu den Mitarbeitern auf der Fläche. Naturalistische Display Mannequins werden meiner Meinung nach nur partiell ein Thema, eher für Luxus-Anbieter als für den Mainstream. Sie sind vom Handling her aufwendig, die Zeit und das Know-how dafür hat nicht jeder. Im Kommen sind meiner Meinung nach geradlinige, ruhige Figuren mit langgliedrigen Proportionen. Dafür darf das Drumherum dann lauter sein, zum Beispiel mit Screens, Filmen oder LED-Wänden. Eine verstärkte Nachfrage nach realistischen Körpermaßen spüren wir aber schon. Wir haben immer mehr Anfragen für Figuren mit Kleidergröße 38. Bei den Oberflächen gibt es eine Tendenz zu Hochglanz und warmen Farbtönen. Kommen werden auch metallische Lackierungen in Silber, Kupfer und Gold – obwohl das dem ebenfalls zu beobachtenden Wunsch nach nachhaltigeren Figuren widerspricht.“

Jutta Blocher, Blocher Partners

Von Bar bis Barber-Shop. Der Handel öffnet sich immer mehr. Was bringt im Laden wirklich Frequenz?

„Einfach gesagt: Mehrwerte bringen Frequenz. Das können unmittelbare Angebote wie die Gastronomie oder Serviceleistungen sein. Oder attraktive wie progressive Aktionen und Events, Must-be-Ereignisse also, die den Händler von Mitbewerbern abheben. Aber auch Nichtgegenständliches wie Know-how oder gegenseitiges Vertrauen. Letzteres ist eng verknüpft mit dem regionalen Bezug, der das Band zwischen Handel und Kunde stärkt. Vertrauen entsteht auch auf anderer Ebene: durch das qualitative Zusammenspiel von Interieur, Warenpräsentation und Sortiment, auf das die Kunden im Idealfall blind vertrauen können. Die größte Herausforderung für den stationären Modehandel ist weiterhin die Verknüpfung von On- und Offline. Die Verunsicherung in der Branche ist groß. Und es kursiert viel Halbwissen; provokant gesagt: Nicht jeder, der einen Facebook-Account führt, ist ein Omnichannel-Experte. Es genügt nicht, einfach nur Inhalte zu posten. Man muss auch das Feedback analysieren, die richtigen Schlüsse ziehen, optimieren.“

Silvio Kirchmair, CEO Umdasch Shopfitting Group

Energiemanagement gewinnt bei steigenden Preisen an Bedeutung. Was ist bei der Ladenplanung diesbezüglich wichtig?

„Im Lebensmittelbereich summieren sich die Energiekosten durch die Kühl- und Gefriergeräte, die Backstationen, die Klimatisierung und Beleuchtung, aber auch durch die zunehmende Digitalisierung, auf ein beträchtliches Niveau. Die Optimierung dieser Kosten bzw. eine lokale Stromversorgung über Solarmodule spielen eine erhebliche Rolle in den Gesprächen mit den Kunden. Im sogenannten Non-Food-Segment ist das Bild differenzierter. Bei singulären Standorten wie Baumärkten, Autohäusern oder Modeplatzhirschen gewinnt die Aufgabenstellung der Energieeinsatzoptimierung ein ähnliches Gewicht wie beim Lebensmitteleinzelhandel. Im klassischen filialisierten Modehandel reduziert sich das Thema auf die Optimierung von Licht, Klima und den Verbräuchen der digitalen Verkaufshilfen. Insbesondere Letzteres gewinnt an Bedeutung, wenngleich die Kosten für Content-Management beträchtlich höher liegen und deshalb darauf mehr Augenmerk gelegt wird.“

Karl Schwitzke, Geschäftsführer Schwitzke

Wie sieht altersgerechtes Store Design aus?

„Zunächst einmal: nicht altersgerecht. Man darf dem Kunden die Probleme, die er hat, nicht explizit bewusst machen. Das Design sollte daher durchaus zeitgemäß sein. Auf die Details kommt es an. Klare Instore-Kommunikation, das heißt: leserliche Schriften für Informationen und Wegweiser. Großzügige Umkleidekabinen. Angenehmes Licht. Die Farbwiedergabe muss realistisch sein. Das ältere Auge kann die Töne sonst nicht differenzieren. Glänzende Böden vermeiden, sie suggerieren Rutschgefahr.“

Michael Scheithauer, Geschäftsführer Barthelmess Group

Wie investitionsfreudig ist die Modebranche in Sachen Visual Merchandising?

„Storytelling, Erlebnis, Emotion, das sind die Schlagworte, die immer wieder fallen, wenn es darum geht, wie man die Kunden in die Läden locken kann. All das passiert in den Schaufenstern und kann dort am besten rübergebracht werden. Von selbst kommen die Kunden nun mal nicht. Deshalb ist es so wichtig, hier zu investieren. Natürlich gibt es im Modehandel Unternehmen, die ihre VM-Budgets aufstocken. Insgesamt sparen aber leider immer noch zu viele, wenn die Umsätze nicht stimmen, zuerst am Visual Merchandising. Wir beobachten zudem seit Saisons, dass die Entscheidungen in den Unternehmen für ein VM-Konzept immer später fallen. Das kostet nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Wenn ein Konzept frühzeitig steht, haben wir auch auf der Beschaffungsseite ganz andere Möglichkeiten.“

Marc Schumacher, Managing Director Liganova

Wie digital ist der Modehandel?

Diese Frage stellt sich so für uns gar nicht. Es geht vielmehr darum, die Digitalisierung als eine Technik zu begreifen, die uns befähigt, vernetzte Welten zu schaffen. Wenn man in diesem Zusammenhang den E-Commerce betrachtet, ist der Modehandel teilweise sogar als Vorreiter zu begreifen. Wenn man aber den Modehandel in Summe und die Vernetzung der Kanäle betrachtet, steht die Branche noch ganz am Anfang. Wir sind davon überzeugt, der POS wird sich zum Point of Experience (PoEX) transformieren müssen. Insofern muss man sich von dem gelernten Paradigma der Ladengestaltung komplett verabschieden. Und somit greift auch die Frage nach einer vernünftigen digitalen Strategie für die Ladengestaltung zu kurz. Es geht darum, die Technik ambient in die Infrastruktur zu integrieren und darauf zu achten, dass für den Kunden eine Brand, Product und Service Experience entsteht.  Und hierbei geht es eben nicht nur um ein konsistentes Markenbild, sondern viel mehr um die mehrwertstiftende Vernetzung der Markenwelt, in der sich der Konsument bewegt. Wir in Europa haben hier ein vollkommen falsches Verständnis von verkaufsfördernd, weil wir absolut Technologie verliebt sind, uns aber nicht fragen, was stiftet Sinn und was nicht.

Bettina Zimmermann, Geschäftsführerin Retail Ganter Interior

Die Flächen im Modehandel werden kleiner. Was heißt das für den Ladenbau?

„Die Zusammenarbeit zwischen Planer, Retailer und Ladenbauer von Anfang an wird noch wichtiger Bei kleineren Flächen muss die Auslastung und das, was präsentiert werden soll, sehr genau betrachtet werden. Die Vorarbeit wird also intensiver. In diesem Zusammenhang gewinnt auch die Verknüpfung von On- und Offline-Angeboten an Bedeutung. Der hohe Kostendruck bei den Unternehmen führt dazu, dass Design to Budget immer wichtiger ist. Rahmenvereinbarungen mit Kunden gibt es jedoch immer weniger. Flexibilität, ein schneller Umbau der Möbel, muss möglich sein, Individualität und lokale Bedingungen müssen stärker berücksichtigt werden. Gute Beratung von Anfang an gewinnt dabei an Bedeutung. Wir als Ladenbauer bieten dafür die Beratungs- und Umsetzungskompetenz für alle erforderlichen Leistungen von der Einschätzung der Bausubstanz über die Planung und termingerechte Ausführung einschließlich der Betreuung nach der Übergabe.“

Philipp Beck CEO atelier 522

Green Washing oder echter Mehrwert. Hat sich Nachhaltigkeit im Ladenbau wirklich durchgesetzt?

„Nachhaltigkeit steht in erster Linie im Widerspruch zur Kurzlebigkeit im Ladenbau – von daher spiegelt der Begriff „Green Washing“ die aktuelle Sachlage sehr gut wider. Lassen Sie uns doch lieber über den Weg der Gestaltung überhaupt sprechen. Ist es nicht schon die Strategie und das Design an sich, welche dem Ladenbau den Weg zur Nachhaltigkeit ebnen müssen? Wir als Büro für Strategie und Gestaltung wollen mehr nachhaltige Tatsachen schaffen. Es geht um reibungslose Schnittstellen zur Ressourcenschonung im Zuge einer ganzheitlichen Gestaltung über alle Medien hinweg. Und die Wahl nachhaltiger Materialien welche in ihrer Lebensdauer Patina bekommen und nicht nach kurzer Zeit optischen und statischen Schiffbruch erleiden.“

Seyhan Baris, Global Key Account Manager bei Zumtobel Lighting

Hell oder dunkel? Wohin geht der Beleuchtungstrend?

Retail Shops, egal ob es sich dabei um Supermärkte zum Einkauf des täglichen Bedarf handelt oder Fashion Stores, entwickeln sich zunehmend zu Orten, die den Kunden sowohl eine Wohlfühlatmosphäre bieten (mit warmen Materialien im Shop, Wartezonen die mit gemütlichen Möbeln, Bodenbelägen und dekorativen Leuchten ausgestattet sind) als auch Erlebnisräume für nahezu alle Sinne sind. Das Licht wird dabei gezielt eingesetzt, um Emotionen zu wecken und gleichzeitig eindeutige Markenidentitäten zu schaffen. Ob hell oder dunkel – die Beleuchtung sollte immer abhängig von ihrer Zielgruppe geplant werden. Unsere Limbic Lighting-Studie in Zusammenarbeit mit der Gruppe Nymphenburg beweist, dass anhand der typgerechten Beleuchtung der Umsatz um 10% gesteigert werden kann. Zumtobel sieht daher ‚well-being‘ als absolutes Trendthema in der Beleuchtung. Mit Limbic Lighting entsteht ein ideales Wohlfühllicht, damit der Käufer länger bleibt und mehr kauft.

Jochen Messerschmid, Inhaber MAI Messerschmid Architekten und Innenarchitekten

The Shop to be. Welcher Laden ist die aktuelle Benchmark in der Ladengestaltung?



„Für mich ist das eine ganz schwierige Frage. Aber für mich ist das ein Laden, den es noch gar nicht gibt. 10 Corso Como wird im Laufe des Jahres seinen ersten Laden in den USA eröffnen und zwar in New York. Ich bin sehr zuversichtlich, dass das ein Laden sein wird, wo man hinschaut. Denn auch der Laden in Mailand ist nach mehr als 25 Jahren immer noch einer der schönsten Läden, die es gibt. Er spiegelt das Motto der Gründer „Slow Shopping“ in ganz besonderer Weise wider. Das wollen ja viele auch machen, doch dort ist es ganz natürlich gewachsen. Insgesamt tue ich mich mit dem Trend der Digitalisierung etwas schwer. Bei vielen Dingen, die schon in Läden ausprobiert werden, erkenne ich nicht den wirklichen Nutzen für die Konsumenten. Man sollte meiner Meinung nach erst dann Dinge implementieren, wenn sie gut durchdacht und auch wirklich funktionstüchtig sind. Im Vertrauen auf die Innovationskraft würde ich sagen, dass das Richtige für den Modehandel einfach noch nicht gefunden ist. Solange sollten sich die Händler vor allem auf den Service konzentrieren. Läden können noch so schön sein, das Sortiment noch so besonders, wenn der Service nicht stimmt, wird es auch schwierig, die Kunden emotional anzusprechen. Wir müssen Läden machen, die Ausstrahlung haben, in denen sich die Kunden, aber auch die Mitarbeiter wohlfühlen. Dabei gibt es heute noch weniger als früher die eine richtige Lösung. Es geht alles – Hauptsache es passt.“

Mehr zur EuroShop lesen Sie in der Printausgabe der TextilWirtschaft, die am Donnerstag, 2. März erscheint. Oder ab Mittwoch, 18 Uhr auf dem iPad.

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