Causa Kliemann

Das Risiko gehört zum Kalkül

Imago / Horst Galuschka
Der Fall Fynn Kliemann befeuert die altbekannte Debatte um die Glaubwürdigkeit von Influencern.
Der Fall Fynn Kliemann befeuert die altbekannte Debatte um die Glaubwürdigkeit von Influencern.

Der Fall Fynn Kliemann befeuert einmal mehr die Debatte um Authentizität von Influencern. Doch welche Folgen für die Influencer-Marketing-Branche lassen sich daraus ableiten?

Für Fynn Kliemann muss 2020 ein geschäftiges Jahr gewesen sein: Ende April veröffentlichte er eine Dokumentation mit dem Titel "100.000 – Alles, was ich nie wollte", kurz darauf erschien sein zweites Album "Pop". Währenddessen versorgte er nebenbei mal eben gemeinsam mit dem Textilhersteller Global Tactics Tausende Flüchtlinge mit damals dringend benötigten Corona-Schutzmasken und heimste daraufhin den Sonderpreis des Next Economy Awards der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis ein.

Die breit diskutierten Enthüllungen von "ZDF Magazin Royale" lassen das alles in einem ganz anderen Licht erscheinen: Von Maskenbetrug, Verschleierung der Herkunft und Täuschung seiner Geschäftspartner ist die Rede. Der Titel seiner Doku ist seitdem zum ironischen Inbegriff seiner Lebensrealität geworden.

Bereits kurz nachdem Jan Böhmermann und die Redaktion von "ZDF Magazin Royale" ihre Recherche veröffentlicht hatten, haben sich neben About You und der Tafel Deutschland weitere Kooperationspartner:innen von Kliemann abgewendet, darunter die Baumarktkette Toom, der Verein "Wir packen's an. Nothilfe für Geflüchtete", Berentzen, Viva con Agua sowie die Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis.

Abhandengekommen sind dem Tausendsassa seitdem Zehntausende Follower – quasi über Nacht. Denn: Kliemanns Krisen-PR besteht bislang aus einem siebenminütigen "Entschuldigungs"-Video auf Instagram, in dem er sich in Ausflüchte rettet, und einem Interview mit dem Spiegel, in dem er betont: "Ich war nur die Galionsfigur und habe mich nicht gewehrt, wenn ich dafür gefeiert wurde." Er sei als Werbegesicht für die Billigmasken aus Bangladesch und Vietnam "missbraucht" worden.

Der Fall befeuert die altbekannte Debatte um die Glaubwürdigkeit von Influencern. Und das, obwohl der Hobbyheimwerker in Interviews wie beim OMR 2019 nicht müde wird zu betonen, dass er mit diesem "Influencer-Ding" wenig zu tun habe: "Das ist nicht meine Welt", erklärte er damals Gesprächspartner Joko Winterscheidt. Urs Meier, Head of Client der Kreativagentur Project Z, teilt diese Auffassung: "Er war nie ein Influencer und deswegen wollen wir als Szene auch nichts mit ihm zu tun haben." Kliemann habe nie Influencer Marketing gemacht, so Meier weiter.

Er sei vielmehr Musiker, Filmproduzent, Unternehmer, aber auch: eine Person mit Reichweite. Bisher nutzte er diese Reichweite, um soziale Themen zu adressieren und sich für einen vermeintlich guten Zweck einzusetzen – ein Setting, das getrost als klassisches Influencer-Profil zu verstehen ist. Die Diskussion um Kliemann, seine Tätigkeit als Creator und Wirkung als Influencer ist also, auch wenn die Branche es nicht will, relevant für die Zunft, die so gerne betont, wie wichtig Authentizität ist.

Auch Silvia Lange, Gründerin und CEO bei der Influencer-Tech-Agentur hi!share.that, betont die Relevanz von Authentizität und Verlässlichkeit im Influencer-Business. Gleichzeitig ist sie sich aber auch sicher, dass der Fall Kliemann die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Influencern nicht grundlegend verändern wird. "Hier gilt der Spruch: Expect the Unexpected. Wir sind alles Menschen, die auch Fehler begehen. Nur weil ein Influencer sich nun falsch verhalten hat, ist es schwierig, alle unter Generalverdacht zu stellen."

Dennoch würden sich Marken Lange zufolge nun mehr Gedanken machen, ob und wie Fehler wie diese vermieden werden können. "Transparenz und Ehrlichkeit sind zwei wichtige Faktoren, um PR-Risiken zu minimieren. Das gilt für Influencer ebenso wie für Unternehmen. Fehler können und dürfen passieren. Dafür sollte ein wechselseitiges Verständnis aufgebaut werden." Darüber hinaus solle man in einem engen Austausch mit seinen Creators stehen und Marken sich wiederum von perfektionistischen Brandfit-Gedanken verabschieden. Der sei in den heutigen Sozialen Medien überholt, so Lange.

Aber kann sich ein Unternehmen gegen imageschädigendes Verhalten seiner Markenbotschafter:innen absichern? "Ja", meint Medienanwalt Dominik Herzog. "Die Causa Kliemann ist ein schönes Beispiel für Kooperationen zwischen Influencern und Unternehmen, bei denen übereinstimmende Werte eine wichtige Rolle spielen", sagt er. Er habe zwar selten Verträge gesehen, in denen Werte, für die ein Unternehmen steht, mitaufgenommen wurden. In einzelnen Fällen sei zu lesen, dass, wenn das Image eines Unternehmens in Mitleidenschaft gezogen wird, ein Kündigungsrecht greife. "Ausgehend vom Fall Kliemann ist jetzt aber ein Moment gekommen, in dem man sich als Unternehmen überlegen sollte, auch die Werte der Zusammenarbeit in den Vertrag mit aufzunehmen."

Unabhängig von vertraglich festgelegten Regelungen kann jedes Unternehmen sich auch selbst, beispielsweise durch eine Vorab-Recherche, einen Eindruck von seinen Kooperationspartner:innen verschaffen. Dieses Vorgehen gehöre zum "Pflichtenheft jeder professionellen Kooperation", findet Klaus Weise, geschäftsführender Partner bei Serviceplan Public Relations & Content. "Influencer:innen leben von ihrer Transparenz und von proaktiv zur Schau gestellter Öffentlichkeit. Daher ist es ein Leichtes, vor allem mit digitalen Tools, alles, was sie im Netz von sich geben, zu tracken und danach ein Haltungsprofil zu erstellen."

Mit Bezug auf die Causa Fynn Kliemann muss aber auch Klaus Weise einräumen, dass nicht alle Vorab-Checks alles zutage fördern, insbesondere dann, wenn Vorkommnisse erst nach der Verpflichtung von Markenbotschaftern passieren würden: "Diverse Kampagnen mussten dann abrupt gestoppt werden, weil die Protagonist:innen mit Koks oder in einer Besenkammer erwischt wurden. Solche Fälle wird es auch künftig geben, weil Menschen eben Menschen sind und plötzlich Dinge tun, die trotz aller Pre-Checks unkalkulierbar bleiben", erklärt er. Ein Restrisiko müsse daher von jedem Unternehmen, das Kooperationen mit Influencern eingeht, mit einkalkuliert werden, so das nüchterne Fazit.

Dieser Text erschien zuerst auf www.horizont.net.



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