Die große Mehrheit der Modeanbieter denkt über Alternativen zur China-Fertigung nach.
Modemarken und -Händler rechnen als Folge der Corona-Epidemie zunehmend mit Verlusten. Das ist eines der Ergebnisse einer aktuellen Kurt-Salmon-Studie zu den Folgen des Virus.
Das Beratungsunternehmen hat die Auswirkungen auf die Beschaffungsketten untersucht und dafür Marken und Händler weltweit befragt. Die vertretenen Labels stünden für ein Verkaufsvolumen von mehr als 100 Mrd. Dollar (92,43 Mrd. Euro) in Europa und den USA.
Die größten Auswirkungen werde der Stillstand in China auf das Sourcing von Stoffen und Bekleidung haben. Das sagten jeweils 92% der Befragten. 83% von ihnen befürchten Schwierigkeiten beim Beschaffen von Zutaten. Eine Verlagerung der Produktion auf andere Länder, schaffe nur bedingt Abhilfe, da auch sie von den Vorprodukten aus China abhängig sind, so Peter Rinnebach, Managing Dircetor bei Kurt Salmon und einer der Studienautoren. Die Lieferverzögerungen werden sowohl die Umsätze als auch die Gewinne drücken, sind die Befragten überzeugt. Und: nur sehr wenige Händler trauen sich aktuell zu, das Ausmaß der Epidemie abzuschätzen.
Aus der Branche ist indes zu hören, dass reduzierte Warenlieferungen bis zu einem gewissen Grad kein Problem für den deutschen Modehandel darstellen würden. Als Richtwert werden 15% genannt. Alles was darüber hinausgehe, könnte die Händler in Schwierigkeiten bringen. Einige sollen schon dazu übergegangen sein, Depotware aktuell nicht mehr an ihre Lieferanten zurückzuschicken, sondern – sofern es sich um Basics handelt – sie für die kommende Saison einzulagern. Die für wirtschaftlich schwächere Hersteller zu erwartenden Folgen schätzen einige Marktkenner aber als deutlich dramatischer ein als die Folgen für den Handel. "Das wird auf Industrieseite für einige brutal werden", glaubt der Geschäftsführer eines Multilabel-Händlers.
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Überraschenderweise hätte fast die Hälfte (46%) der Studienteilnehmer angegeben, zunächst abgewartet zu haben und erst mit einer Risikobewertung zu beginnen, so Rinnebach. Allerdings prüften nun 85% Alternativen zu China, 46% wollen weiter abwarten, bis ihre Lieferanten wieder arbeiten und 31% haben bereits mit der Verlagerung in andere Länder begonnen.
Zu den Gewinnern könnte Bangladesch gehören. Das Land sei nicht so sehr abhängig von Stoffen aus China und biete attraktive Preise. Die Händler aus Europa würden zunehmend die Türkei wegen der kürzeren Vorlaufzeiten und den Zollvorteilen in Betracht ziehen. "Es bleibt aber abzuwarten, ob es sich um eine dauerhafte Abwanderung aus China handelt", schreiben die Studienautoren. Allerdings sind, wie berichtet, die Bekleidungsimporte aus China nach Europa schon in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Lagen die EU-Einfuhren im Jahr 2011 noch bei 38%, so waren es 2018 nur noch 28%. Durch die Corona-Krise könnte sich die Verschiebung in andere Märkte nun noch beschleunigen.
Wer sein Auftragsvolumen bei seinen angestammten chinesischen Lieferanten belasse, müsse u.a. längere Lieferzeiten einkalkulieren, da die Rückkehr der Arbeiter in die Fabriken wohl noch einige Zeit dauern werde, so die Studienautoren. Ihr Fazit: Die Lieferketten in der Modebranche seien noch nicht flexibel genug und noch nicht so strukturiert, um mit größeren Störungen umgehen zu können.
Um sich besser aufzustellen, sollten sich Unternehmen nicht von einem Lieferland abhängig machen, auch wenn dieses deutliche Preisvorteile biete. Genauso wichtig sei die Rückverfolgbarkeit von Produkten, um Risiken bereits im Vorfeld zu minimieren. Entscheidend seien daneben enge Partnerschaften: "Eine Handvoll globaler strategischer Anbieter mit länderübergreifender Präsenz ist notwendig", so die Autoren.