Der ANWR-Vorstand Fritz Terbyuken im Interview

"Hochverderbliche Waren"

ANWR
"Unsere Forderung an Berlin ist, dass man die seit vielen Jahren gut funktionierenden Strukturen der bankgestützten Zentralregulierer nutzt, um in der Branche die Liquidität sicherzustellen", sagt ANWR Group-Vorstand Fritz Terbuyken.
"Unsere Forderung an Berlin ist, dass man die seit vielen Jahren gut funktionierenden Strukturen der bankgestützten Zentralregulierer nutzt, um in der Branche die Liquidität sicherzustellen", sagt ANWR Group-Vorstand Fritz Terbuyken.

Was kann das Konstrukt Einkaufsverbund in diesen Tagen für den angeschlossenen Schuhhandel leisten? Was sind die dringlichsten Forderungen, die jetzt von den Anschlusshäusern kommen? Wie geben sich die Lieferanten in Verhandlungen? Fritz Terbuyken, Vorstand der ANWR Group mit 1800 angebundenen Schuhhandelsunternehmen alleine in Deutschland, im TW-Gespräch über den Krisenmodus und Home-Office-Erfahrungen, über Lobbyarbeit, Appelle an Berlin und vermutlich bald überlaufende Kinderschuhabteilungen.


TextilWirtschaft: Herr Terbuyken, wo erwische ich Sie, arbeiten Sie im Home-Office?
Fritz Terbuyken: Tatsächlich war ich bis vor einer Woche im Home-Office, weil mein Sohn mit einer positiv auf Corona getesteten Person in Kontakt war.  Mein Sohn wurde aufgrund fehlender Symptome nicht getestet, daher wissen wir nicht, ob er infiziert wurde. Aus Sicherheit und Schutz vor meinen Kollegen bin ich im Home-Office geblieben. Alle unsere Mitarbeiter sind remotefähig, die digitale Lernkurve ist enorm, und es ist auch für die Familie, eine sehr beanspruchende und intensive Zeit. Man ist von früh bis nachts im Krisenmodus, eine zähe Zeit.

Welche Sorge drückt Sie in diesen Tagen am meisten?
Die Frage, wie lange das dauern wird, da die meisten unserer Anschlusshäuser auf diese Dimension der Krise nicht vorbereitet sind und diese die Sorge der ausreichenden Liquidität für die weiterhin bestehenden Betriebskosten und Warenrechnungen haben.

Was sind demnach aktuell die dringlichsten Anfragen, die Sie von Seiten Ihrer Mitglieder erreichen?
Im Grunde sind es drei große Themen, die unsere Händler beschäftigen. Erstens: Ware. Hier geht es etwa um Fragen zu Lieferstopps und Valutierungen und Möglichkeiten der Stornierung. Zweitens: Recht. Wie und wo beantrage ich Kurzarbeitergeld? Wie erziele ich Steuer- und Mietstundungen? Wie gehe ich mit Warenlieferungen um? Drittens: Liquidität. Wie läuft die Antragstellung für die Fördermittel, wie bekomme ich Zugang zu Förderkrediten?

Wie läuft die Hilfestellung seitens der ANWR bei solchen Fragen ganz praktisch ab?
Wir haben sehr früh in unserem Händlerportal die „Corona Krisenrubrik“ eingerichtet und nach Meinung der Händler eine umfassende FAQ-Seite aufgebaut. Bis zu 300 Fragen sind dort in der Spitze täglich eingetroffen, die von unseren Mitarbeitern sehr qualifiziert beantwortet wurden. Darüber hinaus informieren wir regelmäßig via Newsletter, haben früh Checklisten und Musterbriefe zur Verfügung gestellt und beraten individuell bei Liquiditätsplanung und Antragstellung für KfW-Mittel. Wir leisten sehr viel Lobbyarbeit, tauschen uns intensiv mit ZGV, HDE, HDS/L, dem Genossenschaftsverband aus, um die Probleme der Anschlusshäuser nach Berlin zu tragen.

Wie läuft die Interaktion in Richtung der Lieferanten?
Mit den meisten Lieferanten haben wir Verhandlungen bezüglich Sondervalutierungen und einem Lieferstopp geführt. Viele Industriepartner sind an dieser Stelle partnerschaftlich auf unsere Forderungen eingegangen. Dabei konnten wir für sie bei den Industriepartnern Valutierungen für den größten Teil der laufenden Dekaden verhandeln. Wir wissen aber auch, dass die Lieferanten drastisch an Umsatz verloren haben, sich ihre Läger mit unverkaufter Ware füllen und die Belastbarkeit Grenzen hat. Sämtlichen Rechnungen und Bestellungen über unseren eigenen Großhandel haben wir mit 90 Tagen valutiert und die Auslieferung ebenfalls gestoppt beziehungsweise die offenen Frühjahr/Sommer-Aufträge storniert.

Was kann die an die ANWR Group angeschlossene DZB Bank hier tun?
Die DZB BANK hat ihr Finanzierungsinstrument – die Saisonlinie – um 50% erhöht und  ausgeweitet. Diese wurde aufgrund der Krise in einem nie gekannten Ausmaß in Anspruch genommen. Eine einseitige Valutierung des gesamten Rechnungsbestandes zugunsten aller Händler über einen längeren Zeitraum würde  auch die Möglichkeiten der DZB BANK übersteigen.

Wo liegen die größten Hürden in der Bearbeitung der Anliegen?
Der Zugang zu Förderkrediten erfolgt über deren Hausbanken und ist für viele Händler sehr schwierig, zumal die Hausbanken immer noch für 10% haften müssen. Da die Geschäftsmodelle im Handel von vielen Banken nicht verstanden werden, ist das sehr anspruchsvoll. Hier hoffen wir auf kurzfristige Nachbesserung der Regierung in Form einer 100% Risikoübernahme. Wir würden gerne die bestehenden Strukturen der Verbundgruppe über die DZB Bank für die „letzte Meile“ nutzen. Unsere Forderung an Berlin ist, dass man die seit vielen Jahren gut funktionierenden Strukturen der bankgestützten Zentralregulierer nutzt, um in der Branche die Liquidität sicherzustellen. Das würde Händlern und Industrie gleichermaßen helfen. Wir erklären derzeit die Besonderheiten unserer Branche, dass wir hochverderbliche Waren sechs Monate vor dem Verkaufszeitraum einkaufen und bezahlen müssen und dass wir durch die Schließung besonders betroffen sind. Einem Politiker, der den ganzen Tag in schwarzen Business-Schuhen unterwegs ist, ist das schwer zu erklären. Ich setze sehr darauf, dass die das Thema zu Hause mit ihren Ehefrauen besprechen.

Was kann die Plattform schuhe.de im Moment leisten?
Zumindest ist es ein Weg, wenigstens einen kleinen Teil des Umsatzes zu erwirtschaften. Denn neben dem digitalen Schaufenster, das der Händler für sich nutzen kann, hat er ja auch die Möglichkeit, über schuhe.de online zu verkaufen. Wobei sich die Online-Verkäufe nach dem Shutdown nicht so euphorisch entwickelt haben wie gewünscht. Die Konsumenten haben bisher offenbar aktuell keine allzu große Lust, Schuhe zu shoppen.

Haben sich dennoch signifikant mehr Händler aufschalten lassen?
Wir spüren durchaus eine zusätzliche Nachfrage, wobei man nicht vergessen darf, dass das Aufschalten auch einen Moment dauert. Nicht unbedingt das Aufschalten, aber die Prozesse, die parallel passieren müssen wie etwa die Anbindung an DHL, so dass Pakete dann auch abgeholt werden. Hier gibt es im Moment durchaus Engpässe. Aber wir kümmern uns um jeden Händler, der mitmachen möchte.

In welches Szenario hinein planen Sie, wenn der Shutdown vorbei ist?
Es spricht vieles dafür, dass es spätestens in der ersten Maiwoche weitergeht. Wahrscheinlich sind besondere Auflagen für die Öffnung – wie viele Personen zur gleichen Zeit in einem Geschäft sein dürfen und wie lange. Vermutlich wird die Kinderschuhabteilung überlaufen, da die Kinder aus ihren Schuhen herausgewachsen sind und wir schon jetzt viele Nachfragen haben. Wir fragen derzeit die Industrie ab, welche Kollektionsteile sie mit in die nächste Frühjahr/Sommer-Saison nehmen. Dem Handel fehlen 25% der Verkaufszeit der Saison, da könnten insbesondere die nicht zu modischen Artikel in das nächste Jahr geschoben werden. Mit dem HDS/L und den Segmentführern aus den jeweiligen Kategorien sind wir im Austausch über Verkaufsrhythmen und Messen. Wir sitzen mit der Industrie im selben Boot und sollten  jetzt besser kooperieren, als uns gegenseitig den schwarzen Peter hin- und herzuschieben.

Diskutieren Sie denn zum jetzigen Zeitpunkt zumindest die Verschiebung von Lieferterminen für HW20?
Es gibt hier zu viele offene Fragen: Kommt die Ware überhaupt pünktlich? Es macht natürlich Sinn, über den Saisonverlauf zu reden. Es wäre eine gute Chance. Dafür müssten aber alle mitmachen. Ob alle Marktspieler dafür noch die notwendigen Mittel haben, ist die Frage.

Mit welchen Auswirkungen rechnen Sie auf die kommende Orderrunde zum FS21, auch mit Blick auf eine sinnvolle Messeterminierung?
Die meisten Umsatzpläne unserer Anschlusshäuser zeigen für das Jahr ein Minus gegenüber dem Vorjahr von 30%. Dabei gehen sehr viele von einer relativen Normalisierung der Umsätze im zweiten Halbjahr aus. Dies wird vermutlich zu Lagerüberhängen und einem 20 bis 40% geringeren Orderlimit für FS21 führen. Nur wenn die Rückkehr zum Normalbetrieb schneller geht, dürfen wir mehr erwarten. Auch die Messen werden sich zumindest für dieses Krisenjahr neu aufstellen müssen. Vielleicht ist das aber auch eine Chance für die Zukunft, wieder näher an den Verkaufszeitraum zu kommen. Sozusagen von einem kleinen Virus gezwungen. Wir wissen um die Sorgen der Händler, deren und unserer Mitarbeiter und die unserer Lieferanten. Neben der Sicherung der Liquidität beraten wir auch mit wesentlichen Beteiligten, wie es nach dem Shutdown weitergehen kann. Die Diskussionen dazu gehen von verkaufsoffenen Sonntagen über strukturierte, gesetzlich festgelegte Ausverkaufszeiträume, Verlängerung der Lebenszyklen von Produkten, Verschiebung des Beginns der Herbst/Winter-Saison bis zur zentralen Einlagerung von Ware, die im folgenden Jahr erneut angeboten werden kann. Wichtig ist, dass wir für unsere Branche schnell praktikable staatliche Zusagen erhalten.



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