Design in der Isolation: Set-Macher Maya und Alon Junger im Gespräch

"Die nächsten zwei Jahre − vergiss’ Wachstum"

Set

Normalerweise sind Designer permanent unterwegs, auf der Suche nach Inspirationen, auf Recherche zum Trendspotting und im Austausch mit vielen Kollegen. Wie sieht ihre Arbeit aus, wenn Isolation oberstes Gebot ist?


Kleinere Brötchen, kleinere Kapseln, keine Saisons – Maya und Alon Junger, die Macher des Contemporary-Labels Set, über flexible Strukturen, Zoom-Meetings und agiles Agieren in der Krise.

TextilWirtschaft: Herr Junger, wie gehen Sie mit der aktuellen Situation um? Was bedeutet das für Set?
Alon Junger: Man muss seine komplette Organisation umbauen. Die Digitalisierung und Instrumente wie Zoom und Videokonferenzen helfen dabei. Man muss lernen, agiler zu agieren. Agilität ist das Stichwort der Stunde. Wir müssen für alles gewappnet sein.

Wofür sind Sie gewappnet? Wie lange, glauben Sie, dauert der Lockdown?
Alon Junger:
Wir gehen vom 20. April aus. Denn wenn wir nicht davon ausgehen, dann wird es irgendwann knapp. Und zwar nicht für uns, sondern für die gesamte Branche. Dabei sind wir ein sehr gesundes Unternehmen. Aber je länger es dauert, umso schwieriger wird das Ganze. Dann stellt sich auch die Frage, wie lange man das mitfinanzieren will. Denn irgendwann kommt man an einen Point of no return, wo sich das Ganze nicht mehr lohnt. Wir haben einfach laufende Kosten, aber keine Umsätze. Ware kommt rein, aber nichts geht raus. Da kommt auch das Lager an Kapazitätsgrenzen. All das wird mit jedem Tag schwieriger. Da muss man sich diese Frage stellen.
Maya Junger: Aber selbst wenn die Geschäfte am 20. April wieder öffnen, wird es ja nicht den großen Ansturm auf Mode geben. Dann geht es den Frauen ja nicht darum, das schönste Sommerkleid zu haben. Die haben angesichts von Kurzarbeit ganz andere Sorgen. Diese Krise wird uns sicher zwei Jahre zurückwerfen. Und wenn eine Rezession in Deutschland hinzukommt, dauert es noch länger.

Womit rechnen Sie konkret?
Alon Junger: Wir müssen uns damit abfinden, dass wir dauerhaft nur noch 75-80% unseres geplanten Umsatzes generieren werden. Denn der Markt setzt nach der Öffnung ja nicht da wieder an, wo er aufgehört hat. Wir reden künftig nicht mehr über höher, größer, weiter, sondern über kleiner, schneller und feiner. Es wird nicht mehr um Umsatzwachstum, sondern um Profit gehen. Die nächsten zwei Jahre − vergiss’ Wachstum. Wir müssen uns alle daran gewöhnen, kleinere Brötchen zu backen.

Was bedeutet das für Ihre Struktur?
Alon Junger: Wir gehen mit keinem strukturellen Problem in die Krise. Aufgelaufen bis Ende Februar lagen wir laut Hachmeister-Zahlen bei Plus 49,7%, also sensationell. Wir waren Best-Performer. Wir werden wieder Best Performer – nur kleiner. Wir wurden ausgebremst. Aber wir stellen uns keine Fragen zur Rhythmik oder Kollektionsstruktur. Mit allem Negativen sind wir in der aktuellen Situation total positiv. Denn wir hatten unsere Krise vor zwei Jahren und haben uns entsprechend neu aufgestellt. Das Thema Saisons und Saisonverschiebung beschäftigt uns nicht. So denken wir nicht mehr. Wir denken und arbeiten in monatlichen Kapseln. Und wenn die Märkte nicht mehr so stark sind, reagieren wir eben mit kleineren Kapseln. Alle Mitarbeiter sind mit Laptops ausgestattet, können vom Home-Office aus arbeiten. Wir sind jetzt schon sehr agil. 

Design in der Isolation: Kollektionserstellung bei Set

Wie können diese kleineren Kapseln aussehen?
Maya Junger: Wenn ein Programm sonst 45 Teile hatte, werden es dann vielleicht 30 sein. Da passen wir uns an. Aber unseren Rhythmus müssen wir nicht ändern. In der Kollektionserstellung sind wir deshalb auch überhaupt nicht beunruhigt, um nicht zu sagen entspannt. Wir haben eher mehr Zeit, die wir auf die Ausarbeitung der einzelnen Teile verwenden können. Wir arbeiten aktuell an den Lieferterminen Januar/Februar 2021.

Wird sich an diesem Lieferrhythmus nichts verändern?
Alon Junger: Nein, wir wollen die Monatsdrops wie geplant ausliefern. Es wird auch keine Streichungen oder Verschiebungen geben. Denn neue Ware wird ja doch gebraucht. Lediglich die Programme in sich werden kleiner. Und im Orderrhythmus gibt es eine Änderung. Die Programme November/Dezember werden wir zusammen mit den Programmen Januar/Februar dann im Juli verkaufen. Denn eine Order im Mai, das kann ich mir nicht vorstellen. Wir können das zwar digital anbieten, aber da wird kaum ein Händler was ordern. 

Sie sagten gerade, dass Sie an der Kollektion für Januar/Februar arbeiten. Wie sieht dieses kreative Arbeiten in der aktuellen Situation konkret aus?
Maya Junger: Wir hatten sehr gut vorgearbeitet und waren schon sehr weit in der Konzeption. Bis auf zwei Inspirationsreisen haben wir alles geschafft. Wir waren noch in Kopenhagen und London. Die wichtigsten Impulse haben wir noch vor den Beschränkungen bekommen. Die ersten Protos hängen bereits im Büro. Viele Kollektionsmeetings haben wir über Zoom gemacht. Das funktioniert erstaunlich gut. Auch die Detailbesprechung der Protos lief virtuell über Zoom. Einer war im Büro und hat die Teile hoch gehalten. Dann haben wir sehr konstruktiv und konzentriert gearbeitet.

Ändert sich durch die Krise jetzt etwas an der Kollektionsaussage?
Maya Junger: Nein. Wir bleiben absolut bei unserer Aussage. Da verändert sich nichts. Wir bleiben  bei unseren Stärken, bei Prints, bei Leder. Vielleicht variieren wir in der Gewichtung. Auch das Preisgefüge wird sich etwas verändern. Denn es wird sicher eine erhöhte Preissensibilität geben. Da muss man noch besser in Preise hinein arbeiten. Ansonsten hat die Krise durchaus etwas Positives. Es findet eine Entschleunigung statt, in dem Sinne, dass man mehr Zeit und Ruhe hat, um wirklich  kreativ zu arbeiten, Dinge auf den Punkt hin auszuarbeiten.

Wo inspirieren Sie sich noch, wenn Sie gar nicht mehr raus kommen?
Maya Junger: Wir inspirieren uns schon immer sehr viel online. Auch das hat sich nicht verändert. 
Alon Junger: Was sich viel stärker verändert, ist das Sourcing. Eigentlich machen wir den Großteil in Europa und kaum etwas in Asien. Entsprechend entspannt waren wir zu Beginn der Corona-Krise. Das hat sich jetzt natürlich gedreht. Aber dadurch, dass wir über Oui ein eigenes Büro in Asien haben, können wir flexibel reagieren. Auch hier gilt es, sehr agil zu sein. Wir können zwischen Asien und Europa switchen.
Maya Junger: Deshalb haben wir im Moment auch keine Liefer- oder Stoffproblematik. Auch die Erstellung der Proto-Typen lief problemlos. Mal gibt es Engpässe bei einzelnen Stoffen, aber da kann man jonglieren. 




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