Diversity-Berater Albert Kehrer: "Tragischerweise sind es oft kleine und mittelständische Unternehmen, also diejenigen, die ohnehin stärker unter dem Fachkräftemangel leiden als große attraktive Marken, die in Sachen Diversity großen Nachholbedarf haben."
Wir haben mit Albert Kehrer über das Thema gesprochen. Er ist Vorstand und Mitgründer der Münchner Prout at work-Stiftung und war früher selbst im Diversity-Management von Konzernen wie KPMG und IBM tätig. Seit zwölf Jahren ist Kehrer selbstständiger Diversity-Berater. Im Interview spricht er über schwule Designer, mutige Personaler und erklärt, warum der Modebranche die Einsicht fehlt, sich selbst ernsthaft reflektieren zu müssen.
TextilWirtschaft: Was ist für Sie Diversity?
Albert Kehrer: Für mich bedeutet Diversity, die Vielfalt aller Menschen ohne unbewusste Voreingenommenheit zuzulassen. Jeder darf sein, wie er ist und so sein Potenzial entfalten. Diversity Management bedeutet, diese Entwicklung zu begleiten und daraus einen wirtschaftlichen Vorteil zu erzeugen.
Ist Diversity ein Trendthema in der Wirtschaft?
Ja, absolut. Es ist aber auch tatsächlich ein notwendiges Thema für Unternehmen. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels müssen sie sich überlegen, wie sie an ausreichend Talente kommen. Diversity Management ist ein Weg, neue Talente zu finden, die sich bisher nicht mit einem Unternehmen befasst haben.
Wie hat sich das Thema entwickelt?
Seit etwa 15 Jahren nimmt es stetig an Fahrt auf. Anfangs ging es vor allem um Frauenförderung, mittlerweile umfasst es viel mehr, zum Beispiel das Engagement für die LGBT*IQ-Community und gegen Rassismus und Altersdiskriminierung.
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Welche Branchen sind die Vorreiter?
Besonders die Branchen mit einem hohen Anteil an Humankapital, also IT, Finanzen und Consulting. Diese Unternehmen brauchen viele, hochqualifizierte Menschen, für die sie attraktiv sein müssen. Indem sie das Thema Diversity pushen, finden sie neue Talente, die sie vorher gar nicht gesehen haben.
Welche Unternehmen machen das besonders gut?
IBM, Commerzbank und SAP sind auf jeden Fall Vorreiter in dem Thema. Auch die Otto Group geht das Thema ernsthaft und mit Drive an.
Die Modebranche gilt gemeinhin als eine ohnehin bunte Branche. Ist sie aber in Ihren Augen auch besonders divers?
Nein, die Modebranche ist sicher kein Vorreiter. Vielleicht sogar eher im Gegenteil. Weil geglaubt wird, dass die Mode mit ihren häufig schwulen Designern doch sowieso schon bunt ist, fehlt die Einsicht, sich selbst ernsthaft reflektieren zu müssen. Schade, weil die Voraussetzungen ja eigentlich zum Teil vorhanden sind. Und so glauben zwar viele Unternehmen, weltoffen und tolerant zu sein, aber immer noch werden aufgrund von Unconscious Bias weiße, heterosexuelle Männer bevorzugt und machen Karriere.
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Seit geraumer Zeit wird Werbung, zumindest die für Fashion und Beauty, immer diverser. Das ist nur zu begrüßen. Die Vielfalt der neuen Schönheitsideale wirft aber auch Fragen auf: Sind die neuen, diversen Bilder ein Trend, ein ehrlicher Versuch der Werbung, sich zu überdenken – oder nur der Versuch, sich bei einer jungen Zielgruppe anzubiedern?
Wie kommt man aus diesem Schema heraus?
Indem wir immer wieder unsere unbewusste Voreingenommenheit ausschalten. Eine Frau im Rock oder ein Mann, der ein pinkes Hemd trägt, kann trotzdem durchsetzungsstark sein. Tragischerweise sind es oft kleine und mittelständische Unternehmen, also diejenigen, die ohnehin stärker unter dem Fachkräftemangel leiden als große attraktive Marken, die in Sachen Diversity großen Nachholbedarf haben.
Wie können Unternehmen sich diesbezüglich verbessern?
Diversity ist eine Haltung. Ich muss mich dazu durchringen, viel bunter zu denken und unbewusste Denkmuster zu durchbrechen. Denkmuster, die dazu führen, dass wir bestimmte Gruppen abwerten: Frauen und Schwule können nicht führen, Behinderte sind weniger arbeitsfähig, nicht perfekt deutsch sprechende Menschen sind weniger intelligent. Die Unternehmen müssen Vielfalt mitdenken. Es ist erschreckend, dass zum Beispiel neue Büros oft immer noch mit Stufen konzipiert werden und deshalb nicht barrierefrei sind.
Ergibt es Sinn, sich in der Diversity-Strategie auf bestimmte Gruppen zu fokussieren?
Nein. Natürlich ist das Thema Frauenförderung am wichtigsten, weil etwa 50% der Menschen Frauen sind. Wenn man aber bestimmte Schwerpunkte setzt, dann kann das Konflikte unter den verschiedenen Gruppen auslösen und genau das konterkarieren, was man erreichen will.
Albert Kehrer / Prout at work
"Noch haben zu viele Menschen nicht das Vertrauen, dass sie ganz sie selbst sein dürfen. Mein Beitrag als Vorstand ist es, genau daran mit Unternehmen und Organisationen zu arbeiten, um dem Ziel einer diskriminierungsfreien und inklusiven Arbeitswelt immer näherzukommen", wird
Albert Kehrer auf der Website der
Prout at work-Foundation zitiert. Kehrer ist Vorstand und Mitgründer der Münchner Stiftung, die sich für "eine sicht-, spür- und erlebbare Öffentlichkeit von LGBT*IQ am Arbeitsplatz" einsetzt. Früher war er selbst im Diversity Management von Konzernen wie KPMG und IBM. Seit zwölf Jahren ist er selbstständiger Diversity-Berater.
Was bringt Diversity Management den Unternehmen wirtschaftlich?
Es fördert auf jeden Fall die Mitarbeiterzufriedenheit, das lässt sich allerdings nur schwer messen. Wir wissen nicht, ob es parallel gerade einen tollen Bonus gab, wegen des die Leute so zufrieden sind. Es gibt aber viele Studien zu dem Thema. Eine besagt zum Beispiel, dass Schwule und Lesben bis zu 30% ihrer Energie dafür aufwenden, ihre sexuelle Orientierung zu verstecken. Daran sieht man, welch riesiges Potenzial dort liegt.
Eine andere Studie von McKinsey hat herausgefunden, dass Unternehmen mit einem Anteil von mindestens 30% Frauen im Topmanagement überdurchschnittlich performen. Fakt ist auch: Wenn Frauen in ein Team stoßen, wird dort wertschätzender kommuniziert und es werden andere Sichtweisen zugelassen.
Grundsätzlich können wir sagen: Wenn ich als Unternehmen wachsen will und bislang dabei bestimmte Menschen ausschließe, dann ist Diversity Management wichtig, weil es Zugang zu neuen Märkten und Talenten verschafft. Außerdem sind diese Unternehmen in der Regel weniger angreifbar für Rechtsstreitigkeiten, die sich auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz beziehen.
Sind Sie ein Fan von Quoten?
Ja, weil freiwillige Selbstverpflichtungen nur selten zum Ziel führen. In den Bereichen, in denen Diversität messbar ist, also zum Beispiel bei Geschlecht und Alter, sind Quoten deshalb sinnvoll. Bei Herkunft und sexueller Orientierung ergeben sie hingegen weniger Sinn.
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Sollten Unternehmen einen eigenen Diversity Manager beschäftigen?
Grundsätzlich geht es um Haltung. Je größer das Unternehmen, desto eher ergibt auch eine Diversity-Stelle Sinn. Die Stelleninhabenden haben oft einen HR-Hintergrund. Oder haben sich in die Position hineinentwickelt, weil sie aus eigener Betroffenheit ein starkes Verständnis für das Thema haben.
Wie können Unternehmen divers rekrutieren bzw. eine diverse Belegschaft aufbauen?
Mit einer Stellenanzeige tun sie kund, wen sie ansprechen möchten. Aus diesem Grund empfehle ich die Sprache zu ändern, d.h. nicht ständig das generische Maskulinum zu benutzen. Durch die Möglichkeiten von Social Media können Stellenanzeigen außerdem zielgruppengerecht ausgespielt werden. Zu diverser Personalpolitik gehört außerdem, sich auch mal etwas zu trauen und eine Person einzustellen, die auf den ersten Blick nicht in das bisherige Gefüge passt. Und ganz wichtig: überall und sofort im Unternehmen einschreiten, wenn es um Diskriminierung geht.
Einen großen Beitrag über Diversity Management in der Modebranche finden Sie in der aktuellen Ausgabe der TextilWirtschaft. Jetzt im E-Paper lesen
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