Durch die Corona-Krise hat sich das Angebot an gebrauchter Kleidung erheblich erhöht. Das Foto zeigt das Concierge-Service-Lager von Mädchenflohmarkt.
Das heißt: Nicht nur das Angebot, auch die Nachfrage erhöht sich durch die Corona-Krise. Vermutlich, weil viele Arbeitnehmer seit etwa einem Jahr wegen Kurzarbeit oder Jobverlust mehr aufs Geld achten müssen. Das senkt die Hemmschwelle, gebrauchte Kleidung zu erwerben. Und infolge der Corona-Schutzmaßnahmen ist es derzeit vielerorts nicht mehr möglich, stationäre Secondhand-Läden und Flohmärkte zu besuchen.
Große Nachfrage bei Ebay
Bei der Mutter aller Secondhand-Plattformen, dem ursprünglich als Online-Flohmarkt gestarteten Marktplatzbetreiber
Ebay, gingen zum Beginn des zweiten Shutdown im Bereich gebrauchte Ware „alle Kennzahlen nach oben“, berichtet Tanja Vojkic, die bei Ebay die Kategorie Fashion leitet. Konkrete Zahlen nennt sie aber nicht. Nur so viel: „Sowohl in den Bereichen C2C als auch B2C stiegen die Zahl der Käuferinnen und Käufer, die Anzahl der Verkäuferinnen und Verkäufer und die Anzahl der verkauften Ware.“
Tanja Vojkic: "Zum Beginn des zweiten Shutdown gingen im Bereich gebrauchte Ware alle Kennzahlen nach oben."
Im Herbst 2019 hatte Ebay noch vermeldet, dass sich die Gesamtzahl der von gewerblichen Händlern angebotenen Secondhand-Modeartikeln seit 2014
fast verdreifacht habe. Der Anteil gebrauchter Fashion Items am gesamten Modeangebot gewerblicher Händler sei im selben Zeitraum von 9% auf 21% gestiegen. Ebay verkauft gebrauchte Kleidung über seine sogenannte
„Secondhand Fashion Welt“, auf der sowohl Verbraucher als auch Händler ihre Produkte einstellen können.
Weniger Störeffekte im zweiten Shutdown
Der größte Unterschied zwischen den beiden Shutdown dürfte aus Secondhand-Händlersicht darin bestehen, dass es im zweiten nicht die negativen Nebeneffekte des ersten gibt. So litt etwa die auf Luxusmode spezialisierte Secondhand-Plattform Rebelle vor einem Jahr stark unter den Auswirkungen der damals noch ganz neuen und unbekannten Pandemie: "Neben einer Unsicherheit bei den Konsumenten standen wir vor der Herausforderung, dass Produkte von Verbrauchern und Secondhand-Läden aufgrund von Shutdown und Sperrzonen nicht lieferbar waren, insbesondere aus Italien“, berichtet Mitgründer und CEO Max Schönemann.
„Konsumenten freuen sich über eine Möglichkeit, ihren CO2-Fußabdruck durch den Kauf von Preloved Mode zu reduzieren.“
Rebelle-Chef Max Schönemann
Der zweite große Wachstumstreiber der Secondhand-Marktplätze ist das Dauerthema Nachhaltigkeit, das – im Gegensatz zu Corona – noch viele Jahre Bestand haben dürfte – und im Jahr vor der Pandemie dank Fridays for Future & Co kräftig an Fahrt aufgekommen hatte.
„Konsumenten freuen sich über eine Möglichkeit, ihren CO2-Fußabdruck durch den Kauf von Preloved Mode zu reduzieren“, erklärt Rebelle-Chef Schönemann. Seinen Beobachtung zufolge hat die Corona-Krise das Bewusstsein für ein neues Konsummodell weiter verstärkt: „Die Menschen kaufen weniger, dafür aber stärker qualitativ hochwertige Stücke, die sie länger tragen.“
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Diese Marken werden häufig aus zweiter Hand gekauft
Wie viele Deutsche kaufen preloved Fashion? Was sind ihre Beweggründe und welche die beliebtesten Labels beim Secondhand-Einkauf?
Bei einer Umfrage der Boston Consulting Group unter den Kunden von
Vestiaire Collective in den USA, Frankreich, Spanien, Italien, Deutschland und Großbritannien gaben im vergangenen Jahr 70% der Befragten an, dass sie Secondhand-Mode kaufen, um sich nachhaltiger zu verhalten. Das waren 8 Prozentpunkte mehr als bei der letzten Befragung 2018. Bei einer ähnlichen
Untersuchung des Marktforschers Kantar und des Fashion-Vorläufers Ubup aus dem November 2020 stieg die Quote auf 86%, nach 83% im Vorjahr.
2020 war ein absolutes Secondhand-Jahr
Daher war es vermutlich kein Zufall, dass sich die Ereignisse im Secondhand-Markt 2020 gerade zu überschlagen haben. Ein paar Beispiele: Die europaweit aktive Secondhand-Plattform Vinted
schluckte im Oktober den niederländischen Mitbewerber United Wardrobe. Einen Monat später fusionierten die Litauer, die 2019 einen Transaktionsumsatz von 1,3 Mrd. Euro erzielt hatten, ihre deutschen Töchter
Kleiderkreisel und
Mamikreisel, um sie dann unter dem Dachmarken-Namen Vinted neu zu starten. Im Dezember eröffnete das Unternehmen in Italien seinen zwölften ausländischen Ableger. Darüber hinaus launchten Markenhersteller wie
Gucci und
Levi’s 2020 eigene Preloved-Fashion-Konzepte.
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Der Secondhand-Anbieter Vinted fusioniert seine beiden deutschen Plattformen Kleiderkreisel und Mamikreisel. Diese laufen künftig unter dem Namen Vinted und bekommen eine neue Verkaufskategorie.
Besonders bemerkenswert war aber die Tatsache, dass mit
Zalando,
About You und
H&M innerhalb weniger Monate drei milliardenschwere Modehändler hierzulande in den Wachstumsmarkt eingestiegen sind. Der Fast Fashion-Konzern H&M brachte im Juni seine Secondhand-Tochter Sellpy nach Deutschland. Die Online-Pure Player Zalando und About You starten im September bzw. November vergangenen Jahres eigene Secondhand-Konzepte.
Bei mittelständischen Plattformbetreibern wie Mädchenflohmarkt und Rebelle dürften diese Nachrichten wenig Begeisterung ausgelöst haben. Schließlich ist die Gefahr groß, dass die Mode-Giganten einen großen Teil des Online-Traffics der kleineren Anbieter absorbieren.
Der Momox-Spot des Jahres 2021
Momox geht in die Vollen
Die neue Wettbewerbssituation dürfte mit ein Grund dafür gewesen sein, warum der Berliner Recommerce-Anbieter
Momox Mitte Januar seine Modesparte neu aufgestellt und mit einer millionenschweren TV-Kampagne beworben hat.
Momox-Chef Heiner Kroke sieht in dem verstärkten Konkurrenzkampf aber keinen Grund zur Beunruhigung: „Wir als Spezialist glauben, dass wir am Ende im Wettbewerb extrem gut, wenn nicht sogar führend dastehen werden. Nicht nur, weil wir überzeugt von uns selbst sind, sondern weil wir die gleiche Erfahrung schon einmal gemacht haben.“
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"Wir verlassen uns nie auf menschliche Intelligenz"
Momox-Chef Heiner Kroke erklärt im TextilWirtschaft-Interview, wie die Plattform im verschärften Wettbewerb bestehen will, warum Algorithmen die besseren Modeeinkäufer sind und welche Modemarken sich im Secondhand-Business am besten verkaufen.
Gemeint ist der Einstieg von Amazon in den Online-Handel mit gebrauchten Büchern vor mehreren Jahren. Doch anstatt Momox zu schlucken oder zu verdrängen, verabschiedete sich Amazon nach einiger Zeit wieder aus dem Markt. „Ich denke an diesen Punkt werden wir auch im Secondhand-Modegeschäft kommen“, sagt Kroke.
Für Momox spricht vor allem die Größe: Der Secondhand-Spezialist erwirtschaftete 2020 rund 312 Mio. Euro. 25% mehr als im Vorjahr. Im Modebereich kletterten die Erlöse sogar um 47% und erreichten somit ein Volumen von 47 Mio. Euro. Das Sortiment umfasst über eine Million Artikel von mehr als 2000 Marken. Sie stammen von 750.000 aktiven Verkäufern, die mehr als 8,3 Millionen aktiven Kunden gegenüberstehen.
Top Ten der Momox-Topseller 2020
Momox gehört wie etwa
Carou und
Reverse-Retail zur Kategorie der Secondhand-Reseller, die – anders als die Plattformbetreiber – die Ware bei den Verbrauchern und Händlern direkt ankaufen, um sie dann in den eigenen Online-Shop oder auf
Online-Marktplätzen wie Ebay, Vinted, Rebelle, Mädchenflohmarkt und Vestiaire Collective weiterzuverkaufen. Diese verstehen sich als reine Vermittler, die Verkäufer und Käufer zusammenbringen und dafür Verkaufsprovisionen kassieren.
Ebay und Vinted führen das Teilnehmerfeld an
Die größten Reichweiten und Verkaufsvolumina dürften hierzulande Ebay und Vinted haben, die allerdings keine Auskünfte über ihre Umsätze mit gebrauchter Mode in Deutschland machen. Der
gesamte Deutschlandumsatz von Ebay war 2020 um 5% auf 970 Mio. Euro gestiegen. Die Pressestelle teilte auf Anfrage lediglich mit, dass alle 1,5 Sekunden ein Secondhand-Kleid und ein „nicht brandneuer“ Sneaker auf Ebay.de verkauft werden. Gebrauchte Jeans fänden sogar alle 45 Sekunden einen Abnehmer. Secondhand-Pullover alle 24 Sekunden.
Die deutlich kleineren Mitbewerber zeigen sich ein bisschen auskunftsfreudiger: Mädchenflohmarkt hat seinen Umsatz 2020 um mehr als 30% auf einen zweistelligen Millionen-Euro-Umsatz gesteigert. Geschäftsführerin Maria Spilker ist mit der Geschäftsentwicklung „sehr zufrieden“. Das Unternehmen habe „die zuvor gesteckten Zielsetzungen allesamt“ erreicht.
Die auf Luxusmode spezialisierte Plattform Rebelle hat ihren Umsatz 2020 im hohen zweistelligen Prozentbereich gesteigert. Für 2021 visieren die Hamburger den Break-even an.
Rebelle ist im Corona-Jahr im hohen zweistelligen Prozentbereich gewachsen. „Die letzten Monate waren die besten unserer Unternehmensgeschichte“, berichtet Geschäftsführer Schönemann stolz. Seinen Angaben zufolge haben sich inzwischen weltweit mehr als zwei Millionen Nutzer bei der Luxusmode-Plattform registriert.
Und die Chancen stehen offenbar gut, dass der Boom in diesem Jahr weiter anhält. Indizien dafür sind unter anderem die Expansion von Zircle (Zalando) und Sellpy (H&M) in Europa. Sellpy ist Anfang Februar in Österreich und Holland gestartet. Zalando zog drei Wochen später nach und brachte sein sogenanntes Pre-owned-Konzept Zircle nach Schweden und Dänemark, also in die direkte Nachbarschaft von H&M.
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Zalando weitet das Pre-owned-Konzept Zircle auf zusätzliche Länder aus. In den weiteren Märkten werden dem Unternehmen zufolge mehr als 100.000 Pre-owned-Artikel von bekannten Labels angeboten.
Anfang März stieg dann der Luxusmode-Konzern
Kering bei der Re-Commerce-Plattform Vestiaire Collective (VC) ein. Die Pariser Gruppe, der Marken wie Gucci, Saint Laurent und Bottega Veneta gehören, erwarb 5% der VC-Anteile. Das Ganze geschah im Rahmen einer Finanzierungsrunde, die Vestiaire Collective 178 Mio. Euro einbrachte. Damit wurde die Pariser Plattform, die mehr als elf Millionen Mitglieder und ein Sortiment mit über 2,5 Millionen Artikel zählt, mit mehr als 1 Mrd. US-Dollar bewertet. In der Start-up-Szene werden Online-Unternehmen, die diese magische Grenze überschreiten, „Einhörner“ genannt.
Vestiaire Collective ist bereits der zweite Secondhand-Marktplatz, der sich dieses mystische Etikett verdient hat. Der estnische Marktplatzbetreiber Vinted stieg 2019 ins Reich der Fabelwesen auf. Anlass für die Neubewertung war eine Finanzierungsrunde, in der das Unternehmen 128 Mio. Euro erlöste. Die hohen Marktbewertungen zeigen, welches Potenzial Investoren und Markenhersteller im Online-Handel mit gebrauchter Bekleidung sehen.
Vinted kann vor allem mit einer großen Reichweite und einem riesigen Sortiment punkten: Der Marktplatzbetreiber zählt 37 Millionen registrierte Nutzer in 13 europäischen Ländern, davon befinden sich neun Millionen in Deutschland. Das Sortiment umfasst aktuell über 300 Millionen Artikel.
Käuferschutz und Werbung statt Provisionen
Ein weiterer Wettbewerbsvorteil besteht im Geschäftsmodell: Ähnlich wie die erfolgreichen chinesischen Plattformen Tmall und Taobao (
Alibaba) finanziert sich Vinted nicht durch Verkaufsprovisionen und Gebühren, sondern nur durch Online-Werbung und ein eigenes Bezahlsystem. Letzteres beinhaltet einen Käuferschutz: Für eine Gebühr von 4% des Warenwertes geht die Kaufsumme erst dann an den Verkäufer, wenn das Produkt beim Kunden eingetroffen ist.
Das Geschäftsmodell dürfte sich positiv auf die Endkundenpreise auswirken, da die anderen Plattformen Provisionen verlangen. Beim Mädchenflohmarkt müssen die Verkäufer 10% des Verkaufspreises zahlen. Wenn man den sogenannten Concierge Service nutzt, sind es 40%, mindestens 9,90 Euro. Bei Rebelle schwankt die Gebühr zwischen 17 und 33%. Der Concierge-Service kostet 15 Euro pro Artikel. Dafür übernimmt der Plattformbetreiber den gesamten Verkaufsprozess inklusive Fotoerstellung, Produktbeschreibung, Payment und Fulfillment.
Die Bequemlichkeit hat ihren Preis
Es ist davon auszugehen, dass gewerbliche Verkäufer diese Zusatzkosten an die Kunden weitergeben. Private Verkäufer haben diese Möglichkeit in der Regel nicht, sodass sie Vinted denjenigen Anbietern vorziehen dürften, die vom Verkaufserlös wenig übriglassen. Das ist vor allem bei den Resellern der Fall.
Ein Beispiel: Bei Sellpy erhält der Verkäufer gerade einmal 40% des Verkaufspreises, wenn dieser bei unter 50 Euro liegt. Zusätzlich wird pro Artikel ein Euro als Anzeigengebühr in Rechnung gestellt. Weitere 2 Euro werden für die Zusendung der Sellpy-Tasche fällig, in die der Verkäufer seine aussortierten Teile stopft. Dafür ist der Aufwand für den Kunden minimal: Er muss seine Ware lediglich in den besagten Plastiksack stopfen und portofrei an Sellpy schicken. Um alles Weitere kümmert sich das Team des Resellers. Wenn der eingeschickte Artikel für mehr als 50 Euro verkauft wird, sinkt die Provision auf 10%, und die Anzeigengebühr entfällt.
Die schwedische H&M-Tochter Selly ist seit Juni 2020 auch auf dem deutschen Markt aktiv. Die Märkte Holland und Österreich folgten im Februar dieses Jahres. Das Foto zeigt das Sellpy-Lager in Rosersberg bei Stockholm.
Neben Vinted finanziert sich auch Ebay zum Teil durch Werbung auf der eigenen Plattform, in der Branche Retail Media genannt. Aber in deutlich geringerem Maße. 2020 machte der Konzernbereich Marketing und andere Services rund 9% der gesamten Umsätze von Ebay Inc. aus.
Großes Potenzial bei Luxusmode-Recommerce
Die größten Wachstumschancen sagen Experten aber dem Recommerce mit Luxusmode voraus, also dem Geschäftsmodell von Vestiaire Collective und Rebelle. Und das nicht nur wegen der höheren Margen, sondern auch, weil die Luxusmarken sehr gut in das Business eingebunden werden können.
Sie erhalten dadurch etwa die Chance, potenzielle Kunden langsam an sich heranzuziehen, zum Beispiel Studenten, die sich mehrere Tausend Euro teure Handtaschen noch nicht leisten können. Aber vielleicht in ein paar Jahren, wenn sie in einem gut bezahlten Akademikerjob arbeiten.
Top Ten der Topseller auf Rebelle.de
Außerdem können die Hersteller ihr Nachhaltigkeitsprofil schärfen und den Wiederverkauf ihrer Produkte besser kontrollieren, wenn sie direkt im Secondhand-Geschäft mitmischen. Das können sie beispielsweise tun, indem sie am dem Programm Brand Approved teilnehmen, das Vestiaire Collective Mitte März eingeführt hat. Es sieht vor, dass die Marken zuerst die Authentizität der Ware überprüfen, bevor sie auf der Seite zum Wiederverkauf angeboten wird.
Erster Anwender ist Alexander McQueen. Der Luxusmode-Hersteller schickt den Verkäufern Einkaufsgutscheine, sie sie in einem Store der Marke einlösen können. Auf diese Weise profitiert auch der stationäre Modehandel vom Secondhand-Boom.
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Vestiaire Collective bindet Luxusmarken in den Secondhand-Handel ein
Die Luxusmarken werden direkt auf dem Resale-Markt aktiv, um ihr Nachhaltigkeits-Profil zu schärfen und den Umlauf von Fälschungen zu verhindern. Vestiaire Collective hat jetzt eine Partnerschaft mit Alexander McQueen geschlossen. Weitere Brands sollen folgen.
In Deutschland setzt beispielsweise
Reverse-Retail (ReRe) auf dieses Multichannel-Modell: Der Hamburger Reseller veranstaltet zweimal im Jahr Verkaufs-Events bei über 100 stationären Modehändlern wie Breuninger, der KaDeWeGroup, Kaiser in Freiburg und Engelhorn in Mannheim. Dabei erhalten die Kunden für ihre Designer-Artikel Einkaufsgutscheine, die sie direkt beim Handelspartner einlösen können. Hinzu kommen Pop-up-Stores von ReRe bei Modehäusern wie Breuninger in Stuttgart und Freiburg, wo die ReRe-Tochter Tochter Vite en Vogue die von Kunden angekauften Teile wieder verkauft.
Pop-up-Store der Reverse-Retail-Tochter Vite en vogue (Schnell in Mode) bei Breuninger in Stuttgart.
Weitere Absatzkanäle sind der
Online-Shop von Vite en Vogue sowie Marktplätze wie Ebay und Vestiaire Collective. Diese könne mithilfe des Hamburger Recommerce-Profis ihr Sortiment an gebrauchter Bekleidung erheblich erweitern.
Restanten und Retouren erweitern das Sortiment
Der Grund: ReRe bezieht seine Ware nicht nur von Verbrauchern, sondern auch von hochwertig positionieren Secondhand-Boutiquen, Markenhersteller und stationäre Modehändler außerhalb des Kooperationskosmos von Reverse Retail. Die Modeunternehmen verkaufen Saisonüberhänge an den Secondhand-Spezialisten. Online-Händler schleusen zusätzlich über ReRe Online-Retouren ab, die sie nicht wieder in ihre Shops einstellen können, zum Beispiel, weil sie leicht beschädigt sind oder weil sie ihr modisches Haltbarkeitsdatum überschritten haben.
Paketbeileger animieren zum Ausmisten
Darüber hinaus hat ReRe eine originelle Form der Kooperation mit Online-Händler entwickelt. Diese legen ihren Paketen Werbezettel bei, in denen die Kunden dazu aufgerufen werden, den gerade erhaltenen Karton aus Nachhaltigkeitsgründen nicht wegzuschmeißen, sondern ihren Kleiderschrank auszumisten. Das Ergebnis dieser Aktion können sie dann an die ReRe-Tochter
Buddy & Selly schicken. „Wir kaufen die Ware dann an, und der verkaufende Kunde erhält einen Gutschein des kooperierenden Handelspartners“, erklärt ReRe-Chef Schönhart.
Buddy & Selly legt Paketen von kooperierenden Online-Händlern Flyer bei, mit denen die Kunden motiviert werden, den Versandkarton mit ausgemisteten Kleidungsstücken zu füllen.
Das größte Potenzial dürfte aber aktuell im Geschäft mit Saisonüberhängen liegen. Schließlich sitzt der deutsche Modehandel wegen des Shutdowns derzeit auf mindestens einer halben Milliarde unverkaufter Kleidungsstücke. Davon dürften Dutzende, wenn nicht sogar Hunderte Millionen auf Online-Marktplätzen landen.
Wissenschaftler vermutet Etikettenschwindel
Der E-Commerce-Forscher Professor
Gerrit Heinemann spricht in diesem Zusammenhang von einem Etikettenschwindel: „So wie im Autohandel die Tageszulassungen einen Neuwagen zum Gebrauchtwagen werden lassen, werden Retouren, die sich in normalen Zeiten nach der Aufarbeitung als Neuware wieder hätten verkaufen lassen, schnell zu Secondhand-Ware. Oder neuwertige Restanten, von denen wir derzeit mehr als genug haben.“
Gerrit Heinemann: "Retouren und neuwertige Restante werden schnell zu Secondhand-Ware. Das ist vielleicht ein Stück Etikettenschwindel."
Das heißt: Das starke Wachstum im Plattformgeschäft mit Mode aus zweiter Hand ist ein Stück weit darauf zurückzuführen, dass immer mehr Händler den Recommerce als Problemlöser für Retouren und Restanten erkennen und nutzen. Zumal viele Altkleidersammler wegen Überfüllung keine Ware mehr annehmen. Immerhin müssen Händler und Hersteller, die Warenüberhänge an Vereine und wohltätige Organisationen abgeben wollen, bis Dezember keine Umsatzsteuer auf die Sachspenden zahlen.
Den Kunden kann die Etikettierung egal sein. Was für ihn zählt sind die günstigen Preise und das Nachhaltigkeitsversprechen, das sich freilich relativiert, wenn die Ware wegen der Plagiatsvorbeugung den Umweg über den Hersteller oder Plattformbetreiber machen muss, bevor sie an den Endkunden geschickt werden kann.
Äußerst niedrige Retourenquoten
Immerhin fallen im Online-Handel mit getragener Kleidung deutlich weniger Retouren an als im klassischen E-Commerce. Im Concierce-Service-Bereich von Mädchenflohmarkt liegt die Retourenquote bei lediglich 20 bis 25%. Bei den professionellen Verkäufern auf Rebelle.de beträgt die Rate sogar nur 14%. Im Geschäft mit neuer Bekleidung sind 50% üblich, bei Damenmode teilweise sogar 70%.
Für die unterdurchschnittlichen Rücksenderaten gibt es zwei Gründe: Zum einen besteht bei den Secondhand-Plattformen – anders im herkömmlichen Online-Modehandel – nur sehr selten die Möglichkeit, sogenannte Auswahlbestellungen zu tätigen, da die Anbieter nur in Ausnahmefällen ein Produkt in mehreren Größen oder Farben vorrätig haben.
Was nicht passt, wird passend gemacht
Zum anderen drücken viele Secondhand-Käufer gerne mal ein Auge zu: „Die günstigen Preise führen manchmal dazu, dass man den Artikel eben doch behält“, erklärt Momox-Chef Heiner Kroke. „Selbst dann, wenn die Hose nicht ganz perfekt sitzt. Weil man sich sagt: „Geht vielleicht nicht für jeden Anlass, aber für den Garten reicht es. Oder: Die Hose ist so schön. Da wachse ich noch rein.“
Die privaten Verkäufer müssen sich mit dem Retourenproblem überhaupt nicht rumschlagen. Schließlich ist im C2C-Handel der Umtausch wegen Nichtgefallens nicht möglich. Rebelle bietet enttäuschten Kunden aber an, Fehlkäufe gebührenfrei wiedereinzustellen.
Rebelle-Chef Max Schönemann: „Millenials und die Gen Z suchen gezielt nach Einzelstücken und Vintage-Pieces, die nicht oder nicht mehr regulär im Handel erhältlich sind.§
Unterm Strich überwiegen für die meisten Kunden aber die Vorteile. Dazu gehören neben der Aussicht auf Schnäpchen und ein grünes Gewissen auch die Chance, das Bedürfnis nach Individualität befriedigen zu können. „Millennials und die Gen Z suchen gezielt nach Einzelstücken und Vintage-Pieces, die nicht oder nicht mehr regulär im Handel erhältlich sind“, berichtet Rebelle-Anführer Max Schönemann. Seinen Angaben zufolge ist die Nachfrage nach Artikeln, die älter als 25 Jahre sind, 2020 um 19% gegenüber dem Vorjahr gestiegen.
Die besagte Norstatpanel-Kundenumfrage belegt diese These. Schließlich rangiert bei den Kaufgründen folgende Aussage den dritten Platz: „Secondhand-Anbieter ermöglichen Zugang zu außergewöhnlich, anderorts vergriffenen Designerstücken.“ Platz eins belegte das Nachhaltigkeitsargument. Vor der Aussage, sich mithilfe der Gebrauchwarenhändlern Designerkleidung leisten zu können.
Spekulationsobjekt Secondhand-Mode
Das gilt übrigens nicht nur für Neuware: Wenn man weiß, dass man eine 2000 Euro teure Luxus-Handtasche nach ein paar Jahren für einen vierstelligen Betrag wiederverkaufen kann, dann fällt die Kaufentscheidung deutlich leichter. Zumal immer die Chance besteht, dass man ein Produkt ergattert, das sich zu einem begehrten Sammlerobjekt entwickelt - und somit ein Vielfaches des Kaufpreises einbringen kann. Ein Kleid des spanischen Designers Paco Rabanne wurde beispielsweise vor drei Jahren beim Auktionshaus Sotheby’s für 44.000 Euro versteigert.
Marktforscher sagen goldene Zeiten voraus
Aufgrund all dieser positiven Rahmenbedingungen verwundert es nicht, dass zahlreiche Marktforscher den Betreibern von Secondhand-Shops und Plattformen eine rosige Zukunft voraussagen: Die
Boston Consulting Group geht davon aus, dass der Resale-Markt, der aktuell ein Volumen von 30 bis 40 Mrd. US-Dollar habe, in den kommenden fünf Jahren um 15 bis 20% pro Jahr wächst. In höher entwickelten Märkten wie Deutschland könne
die jährliche Wachstumsrate sogar 100% betragen.
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Nachhaltigkeit gewinnt beim Secondhand-Kauf an Bedeutung
Die Secondhand-Plattform Vestiaire Collective hat gemeinsam mit der Boston Consulting Group (BCG) analysiert, warum der Zweite Hand-Markt für die Kunden so attraktiv ist.
Hierzulande will mehr als jeder vierte Secondhand-Shopper (28%) in diesem Jahr mehr gebrauchte Bekleidung kaufen als in den Vorjahren, ergab eine repräsentative Umfrage des Hamburger Marktforschungsinstituts Appinio. Bei den 18- bis 24-Jährigen sind es sogar fast 41%.
Und laut einer Greenpeace-Kundenumfrage schlummert in den Kleiderschränken der deutschen Frauen Secondhand-Material im Wert von durchschnittlich 1346 Euro. Dabei handelt es sich um Kleidungsstücke, die entweder selten oder überhaupt nicht getragen werden – und somit eigentlich nur darauf warten, für den Weiterverkauf ausgemistet zu werden. Ebay geht davon aus, dass 2024 rund zwei Drittel des deutschen Online-Handels in Bereichen stattfindet, die „nicht brandneue Markenware umfassen“.
Mädchenflohmarkt erwartet Plus von bis zu 80%
Entsprechend optimistisch blicken viele Secondhand-Plattformen ins zweite Corona-Jahr: Vorneweg der Mädchenflohmarkt, der ein Umsatzplus von bis 80% erwartet. Zudem gehen die Stuttgarter davon aus, in diesem Jahr die 2 Millionen-Grenze bei den registrierten Nutzern zu überschreiten. Und Rebelle befindet sich laut CEO Schönemann „auf einem guten Weg, 2021 den Break-even zu erreichen.
Um diese Ziele zu erreichen, nehmen die Unternehmen derzeit viel Geld in die Hand. Rebelle investiert vor allem in die Prozessoptimierung und die Personalisierung der Plattform, um „eine noch bessere Kundenansprache zu gewährleisten und die Volumina gut handeln zu können“, erklärt CEO Schönemann.
Der Marktplatzbetreiber Vinted, der seine Belegschaft 2020 auf 600 Mitarbeiter verdoppelt hat, will sein Team um weitere „Top-Talente“ erweitern, vor allem für den deutschen Standort Berlin, der Unternehmensangaben zufolge „stark ausgebaut“ werden soll. Gesucht werden vorrangig erfahrene Entwickler, Datenwissenschaftler und Produktmanager, die Erfahrung im Aufbau und der Skalierung globaler Plattformen haben.
Tarek Müller will About You zu einer der "größten Secondhand-Plattformen in Europa" machen.
About You will sein sogenanntes Second Love-Angebot zu einer Plattform ausbauen. Das heißt: Kunden sollen die Möglichkeit bekommen, selbst gebrauchte Artikel bei About You einzustellen. Zurzeit bezieht die Otto Group-Tochter ihre Secondhand-Produkte ausschließlich bei professionellen Anbietern wie Reverse-Retail, Mädchenflohmarkt und Vinoklo.
In diesem Jahr sollen weitere Kooperationspartner hinzukommen und das Sortiment erweitert werden. Ziel sei es, eine „der größten Secondhand-Plattformen in Europa zu werden“, sagt Gründungsgeschäftsführer Tarek Müller.
Weitere Informationen zum Thema Secondhand finden Sie auf der Secondhand-Bühne der TextilWirtschaft.
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Der deutsche Markt für Secondhand-Plattformen wird von Ebay und Vinted angeführt. Rebelle und Vestiaire Collective haben sich auf Luxusmode spezialisiert. Mädchenflohmarkt konzentriert sich auf junge Frauen. Ein Überblick.