Ein Jahr Krieg in der Ukraine

"Mit einem Restrisiko vernünftig und gut produzieren"

Dr. Bock
Liegen abseits der strategischen Ziele Russlands: Die Produktionsbetriebe von Dr. Bock Industries sind in Polonne und Tulyny, die Wäscherei in Novograd.
Liegen abseits der strategischen Ziele Russlands: Die Produktionsbetriebe von Dr. Bock Industries sind in Polonne und Tulyny, die Wäscherei in Novograd.

Hugo Boss, Brax, Marc O'Polo, Drykorn, Strellson: die Liste der Kunden von Dr. Bock Industries ist lang. Der Hosenhersteller produziert nach wie vor in den eigenen Werken in der Ukraine. Es läuft fast reibungslos.

Joachim Beer sitzt am Flughafen in Rumänien und wartet auf den Rückflug. Er ist auf dem Heimweg nach Deutschland. Alle zwei Wochen ist der CEO von Dr. Bock Industries vor Ort und besucht die vier Produktionsstandorte des Hosenspezialisten. Das sei ihm wichtig.
Mehr zum Thema
Cher' 17 in Kiew
Andriy Bezuglov
Store to watch

Cher'17 in Kiew: Zufluchtsort in Zeiten des Krieges

"Ein Fashion Store als Tür zu einer anderen Welt" – diese Überschrift steht über der Mitteilung, die das ukrainische Architekturbüro Temp Project anlässlich der Eröffnung des siebten Ladens des ukrainischen Labels Cher‘17 verfasst hat. Sie könnte kaum passender sein. Denn mitten im Krieg haben sie in Kiew ein neues Geschäft entworfen, das mit einem spannenden Ladendesign von sich reden macht.

In der Ukraine, wo das Unternehmen zwei Fertigungsbetriebe und eine Wäscherei unterhält, war er allerdings seit dem Beginn des Krieges nicht mehr. Dort hinzukommen, sei extrem umständlich und "ja auch ein bisschen gefährlich", sagt Beer. Geschäftsführer Denys Tryfonov sei aber weiterhin vor Ort.

Der operative Betrieb läuft in dem kriegsgebeutelten Land fast reibungslos, versichert Beer. Bereits am 26. Februar 2022, zwei Tage nach Kriegsbeginn, ging die erste Lieferung wieder aus der Ukraine raus. Aktuell gebe es immer mal wieder kleinere Stromausfälle, die Dr. Bock aber durch Generatoren kompensieren könne. Manchmal fehle es an Diesel, hin und wieder seien kleinere Wasserleitungen kaputt.

Nichts Großes also. "Die Infrastruktur in unserem Gebiet ist in Ordnung. Uns kommt zugute, dass unsere Fertigungsbetriebe und die Wäscherei außerhalb von Großstädten liegen. Also nicht in Gebieten, die Russland als strategische Ziele ansieht." Die Produktionsbetriebe befinden sich in Polonne und Tulyny, die Wäscherei in Novograd – gut zwei Stunden entfernt von Kiew. Beer: "Man kann hier mit einem Restrisiko vernünftig und gut produzieren."

Zweimal wöchentlich wird Rohware aus Rumänien in die Ukraine gebracht. Einmal in der Woche geht ein Transport mit Fertigwaren nach Deutschland. Das klappe fast reibungslos, das Straßennetz sei in Ordnung, auch Züge fahren. Die Produktion ist täglich in Betrieb, die Wäscherei an drei Tagen pro Woche. Dann gibt es dort zwei oder drei Schichten pro Tag.
Mehr zum Thema
Cher'17
Cher' 17
Ein Jahr Krieg in der Ukraine

"Ein Ort, an dem man dem grausamen Alltag entfliehen kann"

Als der neue Store der ukrainischen Marke Cher’17 in den einschlägigen Architektur-Blogs auftaucht, beeindruckt nicht nur das Ladendesign. Es schwingt sofort eine Frage mit: Wie eröffnet man in Kriegszeiten einen neuen Laden mitten in Kiew? Die TextilWirtschaft hat mit der Label-Gründerin Tatyana Parfileva über Modehandel in Kriegszeiten, die Sorge vor der Zukunft und kleine Inseln im Kriegsalltag gesprochen.

Und die Mitarbeitenden? Dr. Bock beschäftigt rund 500 Menschen in der Ukraine. Etwa 10% der Beschäftigten haben das Unternehmen seit Kriegsbeginn verlassen. Das Gros, weil es "kriegsähnliche Dienste" leisten muss. "Ein bisschen natürliche Fluktuation ist auch dabei, aber wir mussten niemanden entlassen", sagt der Chef.

Zur Sicherheit hätten sie sich dennoch von allen schriftlich bestätigen lassen, dass sie freiwillig bei Dr. Bock arbeiten – eine reine Vorsichtsmaßnahme. Zum 1. März ist eine Lohnerhöhung geplant, da die Preise steigen, obwohl der Staat "wirklich sehr viel für sein Volk tut".

Die Umsätze sind seit dem Beginn des Krieges um ein Drittel gesunken, weil viele Kunden wegen der unsicheren Situation ausgestiegen seien. "Aber wir haben nach wie vor eine gute Finanzsituation", betont Beer.


"Hier herrscht eine positive Durchhalte-Stimmung", sagt Joachim Beer, CEO von Dr. Bock Industries.
Felix Holland
"Hier herrscht eine positive Durchhalte-Stimmung", sagt Joachim Beer, CEO von Dr. Bock Industries.

Dr. Bock sei von einigen Großkunden abhängig, um auf die Stückzahlen zu kommen. Die Neukundengewinnung sei selbstredend schwierig. Wer wechsele schon in dieser unsicheren Situation zu einem Lieferanten in die Ukraine. Aber einige wagten den Schritt, mit ihnen liefen gerade Tests. "Wir müssen die Ukrainer unterstützen, wir wollen helfen. Und so argumentieren wir auch gegenüber unseren Kunden."

Die Sympathien für das Land seien hoch, die Ukraine sei leistungsfähig. Beer: "Hier wird nicht Trübsal geblasen. Die Menschen haben einen extrem hohen Stolz. Alle wollen diesen Krieg gewinnen und sind überzeugt, dass es ihnen gelingt. Auch, um ganz deutlich zu machen, die Ukraine ist ein unabhängiges, gleichberechtigtes Land. Ich würde sagen, hier herrscht eine positive Durchhaltestimmung."

stats