Hugo Boss macht mit einer neuen globalen Kampagne von sich Reden. Der neue CEO Daniel Grieder setzt ganz klar die Segel in Richtung junge Zielgruppe und verpflichtet hochrangige Künstler, Models und TikTok-Stars. Besonders im Fokus scheint die Hip-Hop-Kultur zu sein, denn sowohl für Hugo wie Boss stehen bekannte Rapper wie Big Matthew und Saint Jhn vor der Kamera. Doch wie kommt die neue Kampagne bei Kennern der Szene an?
Phillip Böndel ist Co-Gründer der Beratungsagentur The Ambition aus Düsseldorf. Zusammen mit Tobias Kargoll hat er sich zum Ziel gesetzt, Unternehmen in Sachen Hip -Hop-Kultur zu beraten. Er hält die Kampagne für einen guten Anfang, doch um wirklich in die Herzen der Community vorzudringen, brauche es mehr als das, sagt er im Interview. Es komme vor allem auf eine langfristige Stategie und den echten Willen, sich intensiv mit der Kultur der Menschen zu beschäftigen.
TextilWirtschaft: Wie glaubhaft ist die neue Boss-Kampagne für Sie als Szene-Kenner?
Phillip Böndel: Zunächst einmal ist sie sehr konsequent, was den beiden Marken Boss und Hugo sehr gut tut, da sie zuvor weder Fisch noch Fleisch waren. Generell scheint unter Daniel Grieder mehr richtig als falsch gemacht zu werden. Bereits der erste Aufschlag unter seiner Führung, die Boss X Russell-Kooperation, generierte mehr Buzz, als gefühlt alle Aktionen der letzten Jahre zusammen. Ob es wirklich authentisch ist und das Unternehmen nicht nur die Kommunikation ihrer beiden Marken, sondern auch ihr übergreifendes Handeln deutlich diverser, progressiver und offen für urbane Einflüsse gestaltet, wird man dann sehen. Eine Chance bekommen sie.
War das alte Markenbild also nicht mehr zeitgemäß?
Beide Marken mussten dringend wieder auf Tuchfühlung mit jungen Menschen und deren neuen Lebensrealitäten gehen. Eine Umfrage von uns und YouGov hat kürzlich erst ergeben, dass sich 49% der 18-24 jährigen Menschen mit Hip-Hop-Kultur identifizieren. Künstler wie Future oder SAINt JHN inspirieren ganze Generationen und bewegen Millionen von Menschen. Diesen Zugang mussten die Marken wieder für sich erschließen. Die Kampagne ist ein guter Anfang.
Aber ist eine solche Kampagne die richtige Vorgehensweise um sich dieser Zielgruppe zu nähern?
Naja, zunächst einmal ist das eine gut umgesetzte Werbekampagne mit einer passenden Künstlerauswahl. Nicht mehr und nicht weniger. Um sich in die Herzen der jungen Menschen und Street-Kultur zurückzuspielen, braucht es weit mehr als das. Deshalb entwickeln wir bei The Ambition auch niemals Einzelmaßnahmen, sondern Aktionspläne für i.d.R. mehr als zwei Jahre, die von Kollaborationen und Sondereditionen über Events und Sponsorings bis zu dauerhaften Plattformen & Stipendien reichen. Es braucht Ausdauer und vor allem einen echten Willen, sich intensiv mit der Kultur der Menschen zu beschäftigen und diese zu befähigen, statt sie nur als Tool zu nutzen.
TW-Interview mit Jean-Claude Mpassy zur neuen Kampagne von Hugo Boss
"Ein Anfang, aber keine große Surprise"
Gibt es Rap-Künstler, die Sie in diesem Zusammenhang vermisst haben?
Sicherlich fallen einem noch weitere passende Rap-Künstler ein − aber diese bilden nicht die gesamte Bandbreite der Kultur ab. Marken laden sich insbesondere dann mit Authentizität auf, wenn sie auch hinter den Kulissen mit Talenten aus der Kultur arbeiten. Ich spreche von Fotografen, Videografen, Fashion Designern, Musikproduzenten, Street Art Künstlern, Tänzern, usw.. Hiphop-Kultur ist ein riesiges Kompetenzzentrum, dass man nicht auf die Top 10 auf Spotify reduzieren darf. Und Menschen aus der Kultur merken sehr schnell, ob nur der Cast vor der Kamera authentisch ist, oder auch der dahinter.
Hip Hop-Experte Tobias Kargoll über Marketing-Chancen
"So funktioniert Cultural Marketing"
Ist das der richtige Weg für eine Marke wie Boss bzw. Hugo, ihr Image auf diese Weise aufzuladen?
Es ist zunächst einmal ein richtiger Schritt. Gerade in Kombination mit der Boss X Russell-Kooperation zuvor. Entsprechend bin ich guter Dinge, dass aus diesem Schritt auch ein guter Weg wird. Alles Weitere werden wir aufmerksam beobachten.
Pusht das den Hip-Hop-Sektor insgesamt, wenn ein Unternehmen wie Hugo Boss in seiner Kampagne jetzt so viel Wert auf Rapper legt?
Ich würde es eher umgekehrt sehen: Hugo Boss braucht die Hip-Hop-Kultur – nicht die Hip-Hop-Kultur Hugo Boss. Was die Hip-Hop-Kultur für eine Hebelwirkung auf Modemarken haben kann, wissen wir ja spätestens seit Gucci und Louis Vuitton. Erstere machen seit Jahren mehr als die Hälfte ihres Umsatzes mit Millennials. Und wir sprechen hier von Luxusgütern und nicht von H&M-Jeans. Insbesondere Premium- und Luxusmarken müssen lernen, dass die älteren Jahrgänge nicht mehr ihre Zielgruppe abbilden. Heute sorgen Millennials und die Generation Z für die Umsätze. Nach Berechnungen von Bain & Company generieren diese beiden Altersgruppen 85 Prozent des globalen Wachstums im Luxussegment. Wer sich dem verschließt, kann seinen Laden direkt abschließen.