Der Krieg in der Ukraine erschüttert die Welt. In dem Land sind auch einige deutsche Textil- und Bekleidungsunternehmen aktiv. Der Hosen-Hersteller Dr. Bock Industries zum Beispiel führt dort drei Betriebe mit insgesamt 500 Mitarbeitern.
TextilWirtschaft: Herr Beer, hatten Sie heute schon Kontakt zu Ihren Betrieben in der Ukraine?
Joachim Beer: Ja, wir haben heute Morgen mit unseren Leuten dort telefoniert. Eine Videokonferenz war leider nicht möglich, weil die Internetverbindung sehr schlecht war.
Wie ist die Situation vor Ort?
Aktuell noch relativ ruhig. Unsere Produktionsbetriebe liegen in Polonne und Tulyny, die Wäscherei befindet sich in Novohrad. Alle drei Städte liegen im westlichen Teil der Ukraine, mehrere Stunden von Kiew entfernt. Bis jetzt war dieser Landesteil nie betroffen, weil sich die Krise auf die östlichen Regionen bezogen hat.
Wie geht es Ihren Mitarbeitern?
Sie sind natürlich beunruhigt und machen sich große Sorgen um ihr Land. Trotz allem sind sie aber auch gefasst. So traurig es klingt, sie sind Krisen und Kämpfe in ihrem Land gewohnt und versuchen, damit umzugehen.
Sind alle Mitarbeiter aus der Ukraine?
Fast alle, nur ein paar von ihnen sind aus Polen und Sri Lanka. Ihnen haben wir natürlich freigestellt, das Land zu verlassen. Sie wollen aber erstmal bleiben. Deutsche Mitarbeiter haben wir nicht vor Ort.
Wird denn heute in den Werken gearbeitet?
Nein, für heute wurden von der Regierung bis auf weiteres alle kommerziellen Aktivitäten verboten. Niemand weiß, wie lange noch. Darüber hinaus ist der öffentliche Personentransport seit heute außer Betrieb, der Staat will offenbar für das Militär die Verkehrswege so weit wie möglich freihalten. Teilweise gibt es in den Betrieben heute auch keinen Strom. Ein unsicherer Punkt ist natürlich auch, inwiefern die Ukraine künftig Menschen und damit auch Arbeitskräfte in die Armee einziehen wird.
Lief denn bis gestern noch alles normal?
Ja, bis einschließlich gestern haben wir dort insgesamt 2700 Hosen am Tag produziert, vom Zuschnitt bis zum Finishing, vor allem für Kunden aus dem Premium-Bereich wie Hugo Boss, Brax und NN07.
Was passiert jetzt mit der Ware?
Das können wir noch nicht einschätzen. Normalerweise ist der Freitag immer unser Exporttag. Wir haben ja tausende fertige Hosen für den Versand und es gibt auch ausreichend Transportmittel. Angeblich soll der Zoll auch morgen wieder arbeiten. Voraussetzung ist allerdings, dass die Verkehrswege wieder freigegeben werden.
Wann waren Sie selbst zum letzten Mal in den Betrieben in der Ukraine?
Im November. Eigentlich wollte ich vor sechs Wochen wieder hinfliegen, da fing es aber gerade damit an, dass Flüge gecancelt wurden und es brenzlig wurde. Vor zwei Wochen wollte ich einen erneuten Versuch unternehmen, kurz danach hat dann die Regierung die Reisewarnung ausgesprochen. Da bei solchen Warnungen keinerlei Versicherungen greifen und mögliche Rücktransporte nicht mehr gewährleistet sind, musste ich die Reise aus Sicherheitsgründen absagen.
Welche Perspektiven sehen Sie nun?
Eine Planung ist derzeit schlicht nicht möglich. Wir fahren auf Sicht und halten den Kontakt mit unseren Leuten vor Ort. Am wichtigsten sind jetzt die Mitarbeiter, erst dann die Ware und das Geschäft. Über Social Media werden wir auf jeden Fall heute unsere Sympathie für die Ukraine und die Demokratie bekunden. Und ich fordere alle Unternehmen der Mode- und Textilbranche auf, das auch zu tun.
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