Momox-Chef Heiner Kroke erklärt im TextilWirtschaft-Interview, warum die Plattform seiner Ansicht nach im verschärften Wettbewerb bestehen wird, welche Modemarken sich im Secondhand-Business am besten verkaufen und warum Algorithmen die besseren Modeeinkäufer sind.
Der Handel mit gebrauchter Kleidung im Netz gehörte 2020 zu den absoluten Top-Trendthemen des deutschen E-Commerce. Mit Zalando, About You, und H&M sind innerhalb weniger Monate drei milliardenschwere Modehändler hierzulande in den Wachstumsmarkt eingestiegen. Zudem starteten Markenhersteller wie Gucci, Levi’s und Anita Hass eigene Preloved-Fashion-Konzepte.
Und: Die europaweit aktive Secondhand-Plattform Vinted schluckte erst den niederländischen Mitbewerber United Wardrobe. Dann fusionierten die Litauer, die 2019 einen Transaktionsumsatz von 1,3 Mrd. Euro erzielt hatten, ihre deutschen Töchter Kleiderkreisel und Mamikreisel, die anschließend unter dem Dachmarken-Namen Vinted neu gestartet wurden.
Geschäft mit gebrauchter Mode
Secondhand-Anbieter in Deutschland - ein Überblick
Im Mittelpunkt des Relaunches steht ein komplett überarbeiteter Markenauftritt mit neuem Namen und Logo sowie neuer Bildsprache. Um die breite Öffentlichkeit über all diese Neuerungen zu informieren, hat Momox an diesem Montag eine große TV-Kampagne gestartet.
Momox-CEO Heiner Kroke erklärt im TextilWirtschaft-Interview, wie die Plattform im verschärften Wettbewerb bestehen will, warum Algorithmen die besseren Modeeinkäufer sind und welche Modemarken sich im Secondhand-Business am besten verkaufen.
TextilWirtschaft: Seit Ausbruch der Pandemie verbringen viele deutsche ihre Freizeit lieber zu Hause und haben so viel Zeit, ihre Kleiderschränke aufzuräumen, Modeartikel auszusortieren, die sie nicht mehr brauchen. Dadurch wächst das Angebot an Secondhand-Mode deutlich. Gleichzeitig müssen viele Arbeitnehmer wegen Kurzarbeit, Jobverlust mehr aufs Geld achten. Das erhöhte Nachfrage nach gebrauchter Kleidung im Netz. Leben die Secondhand-Anbieter jetzt in goldenen Zeiten?
Heiner Kroke: Wir sind im vergangenen Jahr so gewachsen, wie wir es uns vorgenommen hatten. Goldene Zeiten ist wahrscheinlich eine Frage der Betrachtungsweise. Der Bekleidungsmarkt ist 2020 eingebrochen. Wenn man das betrachtet, scheint Secondhand tatsächlich besser zu performen. Aber wir sehen auch nicht, dass wir das Doppelte an Wachstum gehabt hätten.
Aber es waren schon ein paar Prozentpunkte mehr, oder?
Nein, wir haben ungefähr das erreicht, was wir die Jahre davor auch hatten.
Wie hoch ist jetzt der Modeanteil am Gesamtumsatz?
Für das vergangene Jahr kann ich Ihnen das noch nicht sagen. 2019 machte die Fashion-Kategorie 13% des Jahresumsatzes aus.
Lässt sich der Corona-Effekt in Ihrer Modesparte beziffern?
Das ist schwer zu sagen. Wir wissen ja nicht, wie das Geschäft gelaufen wäre, wenn es Corona nicht gegeben hätte. Wir sehen aber nicht, dass sich alles im Jahr 2020 verdoppelt hätte. Wir haben im März durchaus einen Corona-Effekt gesehen. Allerdings einen negativen. Damals ist das Geschäft von einem Tag auf den anderen um 50% eingebrochen, und zwar auf beiden Seiten: Verkäufer und Käufer. Das hat sich dann aber wieder in den nächsten Wochen erholt.
Und wie sah es nach dem Start des zweiten Shutdowns aus?
Da war der Effekt schwächer. Wir haben keine außergewöhnlichen Bewegungen gesehen. Weder nach oben noch nach unten.
Bei den Mitbewerbern Vinted und Mädchenflohmarkt hat die Corona-Krise zu einem deutlichen Anstieg der Angebote gesorgt. Vinted, berichtet, dass die Verkäufer von Februar bis Juni vergangenen Jahres 17% mehr Produkte auf die Plattformen des Konzerns hochgeladen haben als im Vorjahreszeitraum. Bei der Plattform Mädchenflohmarkt fiel das Wachstum seit April vergangenen Jahres noch höher aus: Die Verkäufer haben im Vorjahresvergleich fast ein Viertel (23%) mehr Artikel auf dem Secondhand-Marktplatz eingestellt als im Vorjahreszeitraum.
Der neue Momox-Spot
Welche Modekategorien waren 2020 besonders stark?
Da unterscheiden wir uns nicht besonders vom übrigen Modemarkt. Freizeitkleidung ist bei uns auch stärker geworden. Anzüge und Abendbekleidung sind eh nicht besonders stark im Secondhand-Bereich. So gab es auch keine deutlichen Einbrüche. Die Top Ten der meistgekauften Modemarken war ziemlich ähnlich wie im Vorjahr. Esprit ist immer noch dabei.
Was waren die Topseller?
Da kann ich Ihnen nur Marken nennen, da es im Second Hand immer nur Einzelstücke gibt. Zu den meistverkauften Marken gehören u.a. Esprit, Marc O'Polo, Tommy Hilfiger, S. Oliver und Zara.
Diese Modemarken wurden bei Momox 2020 am häufigsten gekauft:
1. Esprit
2. Marc O’ Polo
3. Tommy Hilfiger
4. S. Oliver
5. Zara
6. Nike
7. Hollister
8. Polo Ralph Lauren
9. Comma
10. Desigual
Und welchen Namen lagen auf den Plätzen zwei und drei?
Das bleibt unser Geheimnis. Aber das Ergebnis war am Ende doch sehr eindeutig. Der Name Momox Fashion ist zwar vielleicht nicht besonders originell, aber passt optimal zur bekannten Dachmarke Momox und spiegelt das wider, was dahintersteckt.
Man hätte ja auch den etwas griffigeren Namen Momox Mode wählen können, zumindest nur für den deutschen Markt.
Durchaus. Es gab auch andere Variationen. Es gab ein Suchfeld, bei dem wir gesagt haben: das sind Markennamen, die nahe an unserer Unternehmensmarke dran sind. Da haben wir nicht nur Momox Fashion getestet, sondern auch viele andere Namen. Am Ende kam Momox Fashion als die Marke heraus, die Neukunden am besten annehmen würden.
Secondhand-Business
Momox stellt Modebereich neu auf
Was war damals anders?
Wir haben deutlich stärker zwischen An- und Verkauf unterschieden. Wir haben daher auch noch nicht den direkten Link zwischen den beiden Plattformen hergestellt. Das tun wir jetzt über Tabs. Ich denke, der Weg, den wir jetzt beschritten haben, zeigt, dass wir uns sehr gut entwickelt haben. Ich würde nicht sagen, dass das damals ein Fehler war. Aber ich denke, dass heute der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um beide Marken näher zueinander zu bringen. Und dementsprechend auch die Markensynergien zu nutzen.
Heiner Kroke ist seit 2013 CEO des Re-Commerce-Anbieters Momox. Davor hat der heute 51-Jährige fünf Jahre lang in gleicher Position beim Online-Auktionshaus Ricardo gearbeitet. Dort verantwortete er die Geschäfte aller Marken und Online-Portale in der Schweiz und in zahlreichen westeuropäischen Ländern. Von 2003 bis 2008 arbeitete der studierte Wirtschaftsingenieur in leitenden Positionen beim Online-Marktplatzbetreiber Ebay, unter anderem als Direktor für Corporate Development, Product Marketing und Ad Sales. Darüber hinaus war Kroke bei dem E-Commerce-Konzern für strategische Partnerschaften zuständig. Als CEO des Ebay-Kleinanzeigen-Vorläufer Kijiji etablierte er lokale Consumer-to-Consumer-orientierte Netzwerke.
Weitere Stationen seiner Karriere waren der Medienkonzern Bertelsmann, die Boston Consulting Group und der Konsumgüterhersteller Procter & Gamble. Bei Bertelsmann arbeitete Kroke zwei Jahre lang als Vice President Business Development, bei BCG als Projekt Leader und bei P&G als Group Manager.
Momox startet am 1. Februar eine nationale TV-Kampagne mit zwei TV-Spots, die den überarbeiteten und umbenannten Modebereich Momox Fashion bewerben. Die 10 und 20 Sekünder zeigen mehrere Twens, die tanzend, springend, auf dem Kopf stehend, per Salto und seitwärts fliegend ihre Secondhand-Produkte vorführen. Dazu sagt eine Sprecherin: „Entdecke alle deine Lieblings-Brands in handgeprüfter Qualität. Günstiger und nachhaltiger als neu. Mit kostenlosem Versand und Rückversand.“ Der Claim lautet “Your Style, Second Hand”. Die Commercials laufen auf den Sendern RTL, Vox, ProSieben, RTL 2, Sixx, TLX, in den Streaming-Diensten TV Now und Joyn sowie weiteren Performance Channel. Hinzu kommt ein Audio-Spot auf Spotify.
Bereits auf Sendung sind drei TV-Spots: Ein 20-Sekünder für den Ankauf von gebrauchten Büchern, Medienartikeln und Fashion über Momox. Und zusätzliche jeweils ein 10-Sekünder für den Ankauf von Secondhand-Mode sowie für den Ankauf von Büchern und Medien. Die Werbefilmchen laufen noch bis Ende Februar, dann immer wieder über das Jahr verteilt in mehreren Flights.
Für die Rebranding-Kampagne ist - inklusive Media-Buchungen und Konzeption der TV-Spots - die Hamburger Agentur Brandtouch verantwortlich. Die filmische Umsetzung der Commercials erfolgte in Zusammenarbeit mit Sirensrock Film Production. Regie führte Mike Beims.
Das heißt: die Bücher, die jetzt auf Amazon angeboten werden, kommen nur von Endkunden und nicht von Amazon selbst.
Genau. Amazon hat das eigene B-to-C-Recommerce-Geschäft wieder aufgegeben. Und wir sind jetzt der größte Verkäufer von gebrauchter Ware auf Amazon weltweit. Second Hand-Mode verkaufen wir nicht über den Amazon Marketplace, sondern Ebay.
Bei den neuen großen Wettbewerbern ist die Modekompetenz unumstritten. Bei Momox sieht das anders aus. Schließlich ist Ihr Unternehmen eher für den Handel mit DVDs und Büchern bekannt. Könnte das zum Problem werden?
Dass unsere Modekompetenz umstritten ist, sagen Sie jetzt. Ich denke, wir haben uns in den vergangenen sieben Jahre im Secondhand-Modebereich sehr gut entwickelt. Und wir haben dabei weitaus größere Kompetenz bewiesen als die anderen Player, die Sie angesprochen haben. Im Recommerce gibt es ganz andere Kriterien als im Neuwarenbereich. Wir haben zum Beispiel nicht die Möglichkeit, einen einzelnen Artikel zehntausendfach zu verkaufen. Wir arbeiten eben nicht mit Herstellern im Einkauf zusammen. Es gibt keine Einkaufsabteilung, die die besten Konditionen verhandelt, um danach dann die Artikel entsprechend verkaufen zu können. Wir müssen in der Logistik ganz anders aufgestellt sein. Wir denken, dass wir eine sehr gute Position innehaben. Und diese Position sehr viel besser ist als bei den erwähnten Mitbewerbern.
Der Algorithmus kann also erkennen, ob die Produkte noch en vogue sind und weiterverkauft werden können?
Da müssen sie in der Tat Wege finden, mit denen das am Ende abgebildet werden kann. Im Ankauf fragen wir unsere Kunden nicht: Ist das ein modischer Artikel oder nicht? Sondern wir fragen unseren Kunden: Ist das für Mann oder Frau? Junge oder Mädchen? Welche Marke ist das? Und welche Art von Artikel? Also zum Beispiel: Mann, Marc O'Polo, Pullover. Wir bieten dann einen Preis an. Im Warenlager kontrollieren unsere geschulten Mitarbeiter in der Qualitätskontrolle, ob die Kleidungsstücke und Accessoires unseren Ankaufsbedingungen entsprechen. Ob ein Artikel en vogue ist oder nicht, ist Geschmackssache. Das entscheiden dann die Kunden auf der Verkaufsseite. Ihnen stehen auf Momoxfashion.com viele Funktionen zur Verfügung, um sich entscheiden zu können, ob sie den Artikel kaufen wollen. Zum Beispiel Informationen zu Größe, Schnitt, Farbe. Und natürlich gibt es auch Bilder.
Wie viel Prozent der Ware muss am Ende vernichtet werden?
Das ist ganz wenig. Unter 2%.
Und was ist mit den Rückläufern? Lohnt sich eine Wiederaufbereitung überhaupt noch, wenn der Gewinn eh nur im Cent-Bereich liegt?
Natürlich gibt es bei uns auch Retouren. So wie überall im Modegeschäft. Unsere Retourenquote ist aber etwas niedriger als im sonstigen Online-Modehandel. Dafür gibt es zwei Treiber: Der erste Grund ist, dass es bei uns keine klassische Auswahlbestellungen gibt. Die Kunden bestellen nicht die gleiche Hose in drei Größen, um am Ende nur eine Hose zu kaufen. Wir haben den Artikel schließlich nur einmal auf Lager. Der zweite Grund besteht in den günstigeren Preisen. Die günstigen Preise führen manchmal dazu, dass man den Artikel eben doch behält. Selbst dann, wenn die Hose nicht ganz perfekt sitzt. Weil man sich sagt: „Geht vielleicht nicht für jeden Anlass, aber mal für den Garten“. Oder: „Die Hose ist so schön. Da wachse ich noch rein. “ Oder: „Ich gebe sie meiner Schwester. War ja so günstig.”
Ein zweiter Versuch: Wie teuer muss ein Secondhand-Modeprodukt sein, damit sich dessen Verkauf auch noch nach einer Retoure lohnt?
Diese Frage kann ich leider nicht beantworten.
Sie könnten die Retourenquote noch weiter senken, wenn Sie den Kunden Passformtipps geben würden? Ist das zu aufwändig? Oder nicht nötig, weil die Kunden nur Marken kaufen, deren Passformen sie bestens kennen?
Wenn alle Kunden so wären wie ich, dann wäre das so. Ich kaufe immer das Gleiche und stelle dann manchmal fest, dass auch die Hersteller oft die Größen nicht unter Kontrolle haben. Es ist mir schon passiert, dass ich drei Paar Timberland-Schuhe nebeneinander stehen hatte. In den Größen 44, 45 und 46. Und komischerweise passten mir alle drei Paare. Wahrscheinlich merkt sich mein Fuß, welche Schuhe ich gerade anziehe und sagt dann: „Passt trotzdem“. Spaß beiseite: Ein gutes Tool, mit dem Sie die richtige Größe ermitteln können, finden Sie auf Momox Fashion noch nicht. Das ist bei uns sicherlich aufwändiger und komplizierter als im Neuwarenbereich, weil wir nur Einzelstücke haben und wir somit nicht die Kundenerfahrungen der letzten 20 Käufer auswerten können. So können wir dem Kunden nicht sagen, dass der Artikel eher größer oder kleiner ausfällt. Das sind technische Herausforderungen, an denen wir arbeiten. Denn ja: Natürlich könnte man die Retourenquote positiv beeinflussen, ohne den Service schlechter zu machen. Und zwar, indem man dem Kunden noch mehr hilft, die richtige Größe zu finden.
Retouren gehören traditionell zu den größten Renditekillern im Online-Handel mit Mode. Grund sind die hohen Kosten für Rücksendung und Bearbeitung der Rückläufer. Laut Forschungsgruppe Retourenmanagement der Uni Bamberg verursacht ein retournierter Artikel im Mittel Kosten in Höhe von 11,24 Euro. Davon entfallen im Schnitt 5,67 Euro auf die Transportkosten und 5,57 Euro auf die Bearbeitungskosten. Nach Branchenschätzungen liegt die Retourenquote im Online-Modehandel bei 50%. Bei Damenmode würden teilweise auch Werte von bis zu 70% erreicht. Möglicherweise hat die Corona-Krise eine Trendwende beim Retourenverhalten eingeläutet: Einer Online-Händler-Umfrage der Uni Uni Bamberg zufolge ist die Retourenquote von März bis August 2020 im Vorjahresvergleich von 17,8 auf 15,9% gesunken. Eine "signifikant niedrigere Retourenquote" ermittelten die Retourenforscher bei Mode und Einrichtungsgegenständen wie Möbeln und Heimtextilien.
Trotz Boom bei Online-Bestellungen
Corona lässt Retourenquote sinken
Der Boom im Secondhand-Markt wird voraussichtlich 2021 weiter anhalten. Wie das Hamburger Marktforschungsinstitut Appinio in einer repräsentativen Umfrage unter 1000 Verbrauchern zwischen 16 und 65 Jahren ermittelte, will mehr als jeder fünfte Deutsche (rund 21%) in diesem Jahr mehr Secondhand-Mode kaufen will als in den Vorjahren. Von denen, die bereits Secondhand kaufen, gaben 28% an, mehr Secondhand als zuvor shoppen zu wollen. Bei den 18- bis 24-Jährigen sind es sogar fast 41%. Mehr als 43% der Befragten möchten ungefähr gleich viel Modeprodukte aus zweiter Hand zu kaufen wie im Vorjahr. Lediglich rund 11% beabsichtigen, künftig weniger gebrauchte Bekleidung, Schuhe und Accessoires zu erwerben.