Greenwashing oder Transparenz?

Behörde warnt H&M und Norrøna vor Verwendung des Higg-Indexes

IMAGO / Niehoff
Greenwashing oder Transparenz: Laut norwegischer Verbraucherschützer dürfen Modeunternehmen keine Daten aus dem Nachhaltigkeitsindex Higg zur Untermauerung von Umweltaussagen verwenden.
Greenwashing oder Transparenz: Laut norwegischer Verbraucherschützer dürfen Modeunternehmen keine Daten aus dem Nachhaltigkeitsindex Higg zur Untermauerung von Umweltaussagen verwenden.

Laut der norwegischen Verbraucherschutzbehörde dürfen Modeunternehmen zu Werbezwecken keine Daten aus dem Nachhaltigkeitsindex Higg zur Untermauerung von Umweltaussagen verwenden, da das gegen das nationale Recht verstoße. Darauf wurden H&M und Norrøna nun in einem Schreiben hingewiesen.

In dem kürzlich veröffentlichtem Schreiben fordert die norwegische Verbraucherschutzbehörde (NCA für Norwegian Consumer Authority) H&M konkret auf, im Marketing keine Higg MSI-Daten (Higg Materials Sustainability Index) im Zusammenhang mit konkreten Produkten zu verwenden, da sie für Verbraucher leicht als "irreführend" angesehen werden und einen "Verstoß gegen das Marketing Control Act" und damit norwegisches Recht  darstellten. Das schwedische Fashion-Unternehmen habe, so heißt es, bis zum 1. September Zeit sicherzustellen, dass es die Daten nicht fürs Marketing verwendet, da es sonst wirtschaftliche Sanktionen riskiere.

Was ist der Higg-Index?
Der Higg-Index wurde 2011 von der Sustainable Apparel Coalition (SAC) ins Leben gerufen. Er umfasst eine Reihe von fünf Instrumenten für die standardisierte Messung der Nachhaltigkeit in der Wertschöpfungskette.
Das sind:
  • Higg Facility Environmental Module (FEM)
  • Higg Facility Social & Labor Module (FSLM)
  • Higg Brand & Retail Module (BRM)
  • Higg Materials Sustainability Index (MSI)
  • Higg Produkt-Modul (PM)

H&M bestätigte auf Nachfrage der TextilWirtschaft den Erhalt des Schreibens. Darin sei man von der Behörde über ein Schreiben an die norwegische Outdoor-Marke Norrøna informiert worden und über die Bewertung des Higg MSI durch die norwegischen Verbraucherschützer, die H&M im Falle einer zukünftigen Verwendung oder Kommunikation des Index berücksichtigen müsse, so eine Sprecherin des Unternehmens.

Die Vorgeschichte

Dem Brief an H&M ging eine Untersuchung gegen Norrøna voraus, die kürzlich vom NCA abgeschlossen wurde. Dabei geht es laut Brad Boren, Director of Innovation and Sustainability bei Norrøna, im Kern um die Frage, ob die Verwendung von Higg-Daten für Produktinformationen nach norwegischem Recht zulässig sei. Das Outdoor-Unternehmen gehört zu den ersten Unternehmen, die im vergangenen Jahr ein entsprechendes Produktkennzeichnungstool für Verbraucher einsetzten. Dabei wurden Daten aus dem Materialmodul des Higg-Index verwendet, um zu zeigen, wie einige der T-Shirts aus Bio-Baumwolle im Vergleich zu T-Shirts aus konventioneller Baumwolle beim Wasserverbrauch und globaler Erwärmung abschneiden.
Was ist Higg-MSI?
Die Sustainable Apparel Coalition (SAC), eine globale Non-profit Organisation der Fashion Industrie, hat 2021 ein Tool mit dem Technologiepartner Higg entwickelt, um Nachhaltigkeit der Modebranche nachvollziehbarer zu machen. Etwa 500 Brands nehmen daran teil, darunter große Unternehmen wie Walmart, Patagonia, Nike, VF Corporation und H&M.
Der Higg Index Nachhaltigkeitsprofile kommuniziert Umweltauswirkungen der verarbeiteten Materialien und nutzt unabhängige verifizierte Daten aus dem Higg Materials Sustainability Index (MSI), der die Umweltauswirkungen von verschiedenen Materialien bewertet.
H&M nutzt die Technologie für ausgewählte Produkte in den eigenen Online-Stores in Europa und den USA. Jedes Produkt erhält eine Bewertung zwischen 1 und 3. Konventionelle Materialien erhalten die 1. Für jedes Produkt können Kunden außerdem detaillierte Informationen zu den Auswirkungen in Bezug auf Wasserverbrauch, globale Erwärmung, Verbrauch fossiler Brennstoffe und Wasserverschmutzung einsehen.


Laut NCA sei es nach nationalem Recht unzulässig, die vom Higg-Index gelieferten Daten in dieser Weise zu verwenden. Sie führten die Verbraucher in die Irre. Für die Aussage, dass ein T-Shirt aus Bio-Baumwolle deutlich geringere Umweltauswirkungen habe als ein T-Shirt aus "normaler" Baumwolle, könne die Behörde keine Beweise finden.

Zwar liefere das Materialmodul des Higg-Index Informationen über die durchschnittlichen Umweltauswirkungen eines bestimmten Materials, eine Aussage über ein bestimmtes Produkt könne es jedoch nicht treffen, so die Bewertung der Verbraucherschützer. Norrøna wurde entsprechend aufgefordert, bis zum 14. August seine Marketingdaten, die sich auf den Higg-Index beziehen, zu ändern oder zu entfernen.

Ringen um Transparenz

Man sei derzeit in der Diskussion mit dem NCA, um "das richtige Gleichgewicht zwischen der Vereinfachung verifizierter Informationen und der Sicherstellung, dass der Kunde Informationen erhält, die nicht missverstanden werden oder zu falschen Kaufentscheidungen führen können, herzustellen". Boren dazu: "Wir halten es für wichtig, überprüfte, verallgemeinerte Daten als Teil unserer eigenen internen Bewertung verwenden zu können und diese mit unseren Kunden zu teilen."

Dass der Higg-Index und andere ähnliche Instrumente noch in den Kinderschuhen steckten und sich weiterentwickeln müssten, um auch andere Auswirkungen wie die Auswirkungen auf die biologische Vielfalt, die Haltbarkeit, das Ende der Nutzung und die Kunststoffverschmutzung zu berücksichtigen, wisse man. In den Material- und Produktbewertungen werden diese Faktoren bereits verwendet und Norrøna wünscht sich "eine konsistente und wissenschaftlich fundierte Messmethode, um sie auch in die Verbraucher-Informationen aufzunehmen", erklärt Boden. Er ist überzeugt, "dass diese Transparenz dazu beitragen wird, Greenwashing zu verhindern, und nicht, es zu verursachen. Wir betonen, dass der heutige Weg nicht perfekt ist, und wir begrüßen Kritik und Engagement".

Das ist auch die Meinung von H&M. Laut Unternehmenssprecherin ist die H&M Group seit vielen Jahren Mitglied der Sustainable Apparel Coalition (SAC), ein Bündnis von Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen, das 2011 den Higg-Index ins Leben gerufen hat. "Wir glauben an den Wert des Higg-Index, der eine branchenweite Methode darstellt, die standardisierte und überprüfte Informationen von Dritten über die Nachhaltigkeitsleistung liefert. Er wurde von der Industrie zusammen mit einer großen Gruppe verschiedenster Stakeholder entwickelt."

Ein Anfang

Laut Aussage von H&M arbeitet das Unternehmen in Norwegen nicht mit dem Higg MSI. Dieser kann allerdings bei ausgewählten Produkten im H&M-Onlineshop in Deutschland gefunden werden. "Wir sind der Meinung, dass die MSI, die Methode hinter dem Higg-Transparenz Layer, die am weitesten entwickelte, branchenweite Methode ist, die heute in großem Maßstab zur Verfügung steht. Wir sehen dies als einen Ausgangspunkt für die Industrie, nicht als Endziel. Wir würden auch gerne sehen, dass Primärdaten verwendet werden, und wir ermutigen unsere Lieferanten, ihre Primärdaten zu sammeln und weiterzugeben, die notwendig sind, um die Lücken zu schließen. Aber die Branche ist noch nicht so weit. Um Fortschritte zu erzielen, muss die Branche jetzt anfangen, gemeinsam zu handeln."

Auch wenn die aktuelle Diskussion um die Verwertbarkeit von allgemeinen Nachhaltigkeitsdaten auf die Umweltbelastung konkreter Produkte im aktuellen Fall auf nationalem norwegischem Recht fußt, wird doch erkennbar, wie groß das Ringen um Transparenz und objektive Bewertungsinstrumente zur Messung der gesamten sozialen und ökologischen Auswirkungen der Branche ist. "Wir haben noch kein perfektes Instrument gefunden und sind uns bewusst, dass wir am Anfang eines langen Weges stehen, der eine Verbesserung des Konsenses erfordert", heißt es von Norrøna.




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