Regierung übernimmt 80% des Lohns - Retailer schließen Läden und stornieren Aufträge

Großbritannien: Das dritte Hilfspaket in neun Tagen

Großbritannien im Ausnahmezustand. Am Freitagabend hat die britische Regierung das dritte Hilfspaket in neun Tagen angekündigt. Nach den milliardenschweren Stützungsmaßnahmen gab Schatzkanzler Rishi Sunak bekannt, dass die britische Regierung erstmals Lohnfortzahlungen für die Arbeitnehmer übernehmen wird.

In der nationalen Notlage, wie sie das Vereinigte Königreich in Friedenszeiten nicht erlebt hat, will die Regierung für jeden Arbeitnehmer, der beurlaubt, statt entlassen wird, 80% des Lohns bis zu 2500 Pfund (rd. 2750 Euro) im Monat übernehmen.

Seit Freitagabend sind in alle Restaurants, Bars, Kinos, Theater, Konzerthäuser und Fitnessclubs geschlossen. Läden bleiben offen, der öffentliche Nahverkehr wird auf reduziertem Niveau aufrechterhalten. Die ältere Bevölkerung über 70 und Risikogruppen werden ab Dienstag isoliert. Das bedeutet, dass 1,5 Millionen Menschen zwölf Wochen zu Hause bleiben sollen. Und an diesem Montag wird im Parlament der Entwurf für ein Coronavirus-Notstandsgesetz beraten. Premierminister Boris Johnson hat härtere Maßnahmen angekündigt, wenn die Menschen sich nicht an der 2 m-Abstandsregel halten. Dann könnte der komplette „Lockdown“ kommen.

Auch bei John Lewis Partnership sind die Türen zu

Da bereits weniger Leute in die Innenstädte kommen, schließen immer mehr Retailer die Läden. Der Schatzkanzler appellierte an die Unternehmen, auf Kündigungen zu verzichten und die unbürokratischen Hilfen in Anspruch zu nehmen. „Die Regierung tut ihr Bestes, um hinter Ihnen zu stehen. Bitte stellen Sie sich hinter Ihre Mitarbeiter,“ sagte Sunak.

Nachdem die Department Store-Gruppen Selfridges, Fenwick und Harrods (die Harrods Food Hall und Apotheke bleiben offen) bereits ihre Stores geschlossen haben, bleiben auch die Türen der 50 Filialen von Mitbewerber John Lewis Partnership ab Montag, 23. März, geschlossen. Johnlewis.com wird weiter normal betrieben wie auch die Schwester-Supermarktkette Waitrose und waitrose.com. Es ist das erste Mal in der 155-jährigen Geschichte von John Lewis Partnership, dass das Unternehmen seine Stores nicht für die Kunden öffnet. „Das Wohlergehen unserer Kunden, Communities und Partners hat immer absolute Priorität,“ sagt Chairman Sharon White, „die Entscheidung der Regierung, die Business Rates für ein Jahr zu erlassen, spart dem Unternehmen 160 Mio. Pfund in den nächsten 12 Monaten. Zudem begrüßen wir die Aussetzung der Mehrwertsteuer im zweiten Quartal und die Unterstützung bei den Löhnen.“

White verweist darauf, dass John Lewis Partnership seine Netto-Verschuldung in den vergangenen fünf Jahren um über 1 Mrd. Pfund reduziert und in derselben Zeit das Niveau der Liquidität verdoppelt hat. „Wir haben im Moment eine Liquidität von rd. 1,5 Mrd. Pfund, bestehend aus 950 Mio. Pfund in Bar und 500 Mio. Pfund in Form nicht in Anspruch genommener zugesagter Kreditfazilitäten,“ so White, „aber das Ausmaß der sozialen und wirtschaftlichen Auswirkung des Coronavirus ist wie nichts, was wir in letzter Zeit gesehen haben.“

Die Arcadia Group hat alle über 500 Stores ihrer Filialketten wie Topshop, Dorothy Perkins, Wallis, Evans und Burton geschlossen. „Alle Mitarbeiter bleiben beschäftigt und werden ihr normales Gehalt für März bekommen, zuzüglich der außenstehenden Überstundenzahlungen,“ heißt es bei Arcadia, „danach werden wir die Situation überprüfen.“

Auch der Modefilialist River Island, die Schuhkette Clarks, Womenswear-Retailer Hobbs und die Filialkette &Other Stories haben ihre Stores in Großbritannien geschlossen. &Other Stories zahlt den Mitarbeitern weitere 14 Tage das Gehalt. Gap schließt alle Stores in Großbritannien für zunächst zwei Wochen und will die davon betroffenen Mitarbeiter über den Zeitraum mit fortgesetzter Bezahlung unterstützen. Ted Baker hat nur einige Stores geschlossen, aber weitere werden zwangsläufig folgen. Das Unternehmen hat die Öffnungszeiten angepasst, Hygiene-Vorsichtsmaßnahmen erhöht und auf bargeldlose Zahlung umgestellt. Das Rückgaberecht wurde von 14 auf 40 Tage ausgeweitet, aber die Click & Collect-Optionen eingestellt.

Primark und New Look stornieren Aufträge

Der Bekleidungsdiscounter Primark hat seine 189 Filialen in Großbritannien ab dem gestrigen Sonntag, 22. März, bis auf weiteres geschlossen. Vor gut einer Woche hat das Unternehmen bereits die Schließung der Primark-Filialen in Frankreich, Spanien und Österreich bekannt gegeben. Sie machen 20% von Primarks Verkaufsfläche und 30% des Umsatzes aus. Laut Konzernmutter Associated British Foods (ABF) könnten allein die Schließungen in Europa zu einem Umsatzverlust von 190 Mio. Pfund führen. Die Umsatzeinbußen nach der Schließung nun aller 376 Stores in 12 Ländern beziffert das Unternehmen auf 650 Mio. Pfund pro Monat.

Wie eine Schockwelle dürfte die Entscheidung Primarks durch die Bekleidungsbranche gehen, alle Aufträge, die bei den Fabriken in der Produktion sind, zu stornieren. Den Lieferanten teilte Primark auch mit, keine neuen Materialien für den Retailer zu kaufen. „Die Situation hat sich so schnell entwickelt, dass wir keine andere Option haben“, sagt Paul Marchant, Chief Executive von Primark, „wir haben große Warenbestände in unseren Stores, den Depots und im Transit, die bezahlt sind. Wenn wir jetzt nicht einschreiten, werden wir Lieferungen bekommen, die wir einfach nicht verkaufen können. Es ist eine beispiellose Maßnahme für beispiellose und unvorstellbare Zeiten.“

Bereits verschickte sowie and Primark Warehouses und Stores gelieferte Aufträge werden beglichen. Die Stornierungen, die auf der Basis einer Klausel über höhere Gewalt in den Verträgen durchgedrückt wurden, sind angesichts der riesigen von Primark georderten Mengen verheerend für die Lieferanten. Primark ist besonders stark betroffen von den Schließungen, weil das Unternehmen über ein Filialnetz mit 376 Stores in 12 Ländern verkauft, aber keine Online-Vertriebsschiene hat.

Es gibt aber noch mehr Hiobs-Botschaften. Auch die Modekette New Look hat wegen der Coronavirus -Krise alle gegenwärtigen und künftigen Produktionsaufträge gestoppt. Den rd. 13.000 Beschäftigten wurde unbezahlter freiwilliger Urlaub für bis zu vier Wochen angeboten. Am Samstagabend hatte New Look alle seine 480 Stores in Großbritannien geschlossen vorübergehend geschlossen. Die 28 New Look Filialen in der Republik Irland hatten bereits am Freitag dicht gemacht. Die Website läuft weiter und Lieferungen sowie der Collect+ Service stehen Online-Kunden zur Verfügung. New Look hat zudem das Rückgaberecht auf 90 Tage ausgeweitet.

Durch Stornierungen und Verlängerung der Zahlungsziele wächst der Druck auf die Lieferanten. Viele fürchten, die finanzielle Krise nicht zu überleben. Die Regierung dürfte gehofft haben, diese Kettenreaktionen durch ihre milliardenschweren Stützungsprogramme verhindern zu können. Und das Paradoxe ist, dass die Fabriken in China gerade wieder ihren Betrieb aufgenommen haben und nun bei stornierten Aufträgen wieder runterschalten können.



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