Smart Warehouses in der Mode

"Das sind lebende Systeme"

Markus Muschkiet
Markus Muschkiet leitet an der Hochschule Niederrhein das Center Textillogistik.
Markus Muschkiet leitet an der Hochschule Niederrhein das Center Textillogistik.

Der Textillogistik-Forscher Professor Markus Muschkiet sieht bei Smart Warehouses zwei große Herausforderungen: die IT-Manpower sowie die Corona- und kriegsbedingten Verwerfungen im Markt, welche die Entscheidungen über Großinvestitionen enorm erschwerten. Hinzu komme, dass die Unternehmen häufig selbst Teil des Problems seien.

TextilWirtschaft: In der Logistikbranche sprechen viele von Smart Warehouses. Ist das nur eine schön klingende Bezeichnung für die längst übliche Verknüpfung aller Prozesse im Logistikzentrum oder etwas ganz Neues?
Markus Muschkiet: Das ist eine Weiterentwicklung der Systeme der vergangenen Jahre. In Kombination mit Big Data, automatisierten Systemen und Künstlicher Intelligenz, Blockchain sowie einer besseren Rechnerleistung und Hardware. Das ist vergleichbar mit der Entwicklung, die wir bei der Produktion gesehen haben – mit der Smart Factory.


Können die Lösungen nachträglich implementiert werden? Oder muss von Anfang an alles miteinander verknüpft sein?
Die Logistik ist immer sehr kleinteilig aufgebaut. Daher kann man natürlich erweitern. Die Frage ist nur, ob die vorhandene Technik ab einem bestimmten Punkt an Grenzen stößt. Das heißt: Ob ich mir damit nicht ein neues Bottleneck einhole. Das ist immer ein individueller Prozess. Ich kann nicht grundsätzlich sagen: Alles komplett neu machen, ist besser. Das geht rein aus finanziellen Aspekten gar nicht. Aber etwas despektierlich gesagt: Die Bastellösung ist letztendlich das, was wir häufig in der Industrie antreffen, weil oft sukzessive, aber zu kurz gedacht erweitert wird.
„Natürlich ist es schön, wenn ich mir einmal ein komplett neues Lager auf die Grüne Wiese stellen kann und dann up to date bin. Die Frage ist nur: Klappt das immer so?“
Professor Markus Muschkiet
Warum muss ständig erweitert werden?
Es gibt viele Einflussfaktoren, auf die reagiert werden muss, etwa neue Techniken oder Anforderungen. Das sind lebende Systeme, die schrittweise erweitert werden, allerdings häufig nicht genug. Natürlich ist es schön, wenn ich mir einmal ein komplett neues Lager auf die Grüne Wiese stellen kann und dann up to date bin. Die Frage ist nur: Klappt das immer so? Hinzu kommen die erwähnten Einflussfaktoren.

Nicht zu unterschätzen sind auch die finanziellen Herausforderungen, die mit solchen Systemumstellungen einhergehen, egal ob Neubau oder Erweiterung. Diese Investitionsentscheidungen hängen auch davon ab, wie gut das vorhandene System noch ist. Und wie gut man damit die aktuellen und künftigen Anforderungen des Marktes abdecken kann.

Werden im Smart Warehouse generell zentrale Software-Plattformen geschaffen, um alle Prozesse steuern zu können?
Es gibt verschiedene Anbieter, die diese Plattformen oder die ganzen Strukturen mit entwickeln, verkaufen oder als Service bereitstellen. Letztendlich kaufe ich solche Systeme als Komplettlösung ein. Die Anbieter agieren aber in der Regel als Systemlieferanten und kaufen wiederum Teile und/oder Software hinzu. Die Möglichkeiten sind sehr umfangreich.

Und was sind die größten Schwierigkeiten bei der Einrichtung eines Smart Warehouse?
In vielen Fällen die passende Manpower. Das Ganze muss ja gepflegt werden. Sie brauchen plötzlich deutlich mehr IT-Kräfte. Diese sind aber derzeit nicht ohne Weiteres verfügbar. Grundsätzlich automatisiere ich in so einem Fall, um unabhängiger von Manpower zu werden. Ich werde dadurch aber an anderer Stelle sehr viel abhängiger von IT-Manpower.


Hinzu kommt die Finanzierung: Wir haben gerade nach sehr schweren Jahren erneut sehr schwere Verwerfungen auf den globalen Märkten. Corona ist noch nicht vorbei. Der Hafen von Shanghai ist wieder gesperrt. Außerdem die Unsicherheiten durch den Krieg. In solchen Situationen größere, langfristige Finanzierungsentscheidungen zu treffen, ist eine Herausforderung. Überhaupt erschwert das ganze Marktumfeld Entscheidungen für Großinvestitionen, unter anderem, weil die Zinsen wieder erheblich gestiegen sind.
Über Markus Muschkiet
Markus Muschkiet arbeitete nach dem Logistikstudium in Dortmund als Logistikkoordinator in der Luft- und Raumfahrtindustrie. Von 2010 bis 2013 war der gebürtige Hagener als Doktorand am Institut für Transportlogistik tätig. Schwerpunkte seiner Arbeit waren u.a. die grüne Logistik sowie die Planung und Entwicklung von Verkehrssystemen der See- und Binnenschifffahrt. 2014 promovierte er mit der Arbeit "Entscheidungsmodell für Speditionen zur Planung von Kurzstreckenseeverkehren mit palettenbreiten Containern".

Von 2014 bis 2016 war Muschkiet beim Modekonzern Zalando beschäftigt. Dort hat er als Senior Manager Operative Transport Logistics die Transportlogistik und Exportzollabteilung geleitet. Zum Wintersemester 2016 wurde der Wissenschaftler als Professor für Textillogistik an die Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach berufen. Dort leitet er seit 2018 das Center Textillogistik, das die Hochschule Niederrhein zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) betreibt. Darüber hinaus ist der Logistikforscher seit 2010 Lehrbeauftragter für Transportlogistik im Studiengang Logistikmanagement der Europäischen Fernhochschule in Hamburg.
Und welche Probleme gibt es beim System selbst?
Wenn ich so ein Smart Warehouse entwickeln möchte, muss ich mich fragen: Kenne ich meine Anforderungen? Kenne ich meine eigenen bisherigen Prozesse so gut, dass ich diese sauber in ein entsprechendes Lastenheft überführen kann, damit ich ein Smart Warehouse entwickeln kann? Daran hapert es bei den meisten Unternehmen.

Das sind typische Probleme. Nur werden sie immer größer und komplexer, je weiter und tiefer man bei solchen Ergänzungen in Unternehmensstrukturen eingreift. Und das tue ich ja mit dieser Art von Veränderungen bei der Hard- und Software.

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