Da ist das Ding: Der Tech-Hub von Metyis ist noch eine Baustelle. Das Auditorium (im Bild) ist bereits fertig. Die Eröffnung des Campus, auf dem auch das Hugo Boss-Team einquartiert wird, ist für das dritte Quartal geplant.
Dafür hat sich Hugo Boss mit Metyis zusammengetan. Die Beratungsgesellschaft zieht auf einem knapp fünf Hektar großen Areal, das zehn Minuten vom Stadtzentrum Portos entfernt ist, einen Tech-Hub hoch. Er bietet mittelfristig Platz für 1000 Datencracks, die für fünf bis zehn Firmen aus aller Welt im Einsatz sein werden. Geschätzt 300 von ihnen werden allein für Hugo Boss abgestellt.
"Jede Firma wird ihnen sagen, dass sie Daten sammelt und analysiert. Aber wie die Daten in die Prozesse der Firma integriert werden, ist dann der wirklich wichtige Schritt." Rennsportfan Grieder, der mit Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff befreundet ist, orientiert sich an der Formel 1. Deren Umgang mit Daten hält er er für "beeindruckend".
Beratung trifft Umsetzung: Metyis-Partner Jochen Stratmann (links) hat 20 Jahre im Consulting hinter sich. Kollege Pieter Haas war vorher bei Metro und Mediamarkt Saturn.
Noch ist der Tech-Hub von Metyis, der im dritten Quartal 2022 eröffnen soll, eine Baustelle. Zwei Gebäude sind schon fertig: ein Auditorium und ein Komplex, in dem neben den Metyis-Fachgruppen für Design, Digital, Daten, E-Commerce und Logistik das Hugo Boss-Team einquartiert wird.
100 Datenmagier für Hugo Boss
Zum Start zaubern 100 Datenmagier für Hugo Boss. Eine von ihnen ist Sara Magalhães. Die 40-Jährige ist Umweltingenieurin und hat sich mit der Energieeffizienz von Gebäuden und Fabriken beschäftigt. Seit fast acht Jahren widmet sie sich der Datenwissenschaft.
"Datenwissenschaft ist ein Gebiet, auf dem du dauernd Neues lernen kannst." Neugier, Hartnäckigkeit und Kreativität seien gefragt. "Jedes Projekt ist anders. Du musst bereit sein, neue Wege zu gehen", sagt sie. "Wenn du nicht weiterkommst, darfst du nicht frustriert aufgeben. Du musst weitermachen."
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Mehr Digitalisierung, höhere Flexibilität, größere Vernetzung: Das waren die Megathemen auf dem TW-Supply Chain Summit. Ein Talk mit Hugo Boss-COO Heiko Schäfer, Dr. Bock-CEO Joachim Beer und Jörn Otto, Lieferkettenchef von Bonprix, über die neuen Realitäten, Nearshoring und den Fachkräftemangel.
Mithilfe moderner Methoden wie Natural Language Processing oder Deep Learning leitet Magalhães aus Daten Schlussfolgerungen und Vorhersagen ab. Egal, ob es um die Farbe eines Hoodies oder die passende Ansprache einer bestimmten Zielgruppe geht. "Es gefällt mir, mit meinen Analysen Unternehmen zu helfen, Entscheidungen zu treffen."
Mit dem Digitalcampus in Portugal hat Grieder ein Modell gewählt, das zur Blaupause für andere Modeunternehmen werden könnte. Statt nur intern eine Dateneinheit zu schaffen oder die Datenanalyse an externe Dienstleister auszulagern, hat er mit Metyis ein Gemeinschaftsunternehmen gegründet.
Joint Venture statt outsourcing
Statt die Datenanalyse allein im eigenen Haus aufzubauen oder an einen externen Dritten auszulagern, hat sich Hugo Boss für ein Joint Venture entschieden. Der Digital Campus im portugiesischen Porto ist ein Gemeinschaftsunternehmen mit der Beratungsgesellschaft Metyis. Hugo Boss erwarb im Laufe des Jahres 15% und hat sich das Recht gesichert, die restlichen Anteile binnen fünf Jahren zu übernehmen.
Das Modeunternehmen verspricht sich von diesem Modell, schneller das selbstgesteckte Ziel zu erreichen, bis 2025 rund 1 Mrd. Euro Umsatz im Digitalen zu erlösen. Ein zweiter Vorteil: Im Gegensatz zum Servicevertrag kann Hugo Boss das Know-how später zu sich in die Firma holen. Der Joint Venture-Ansatz könnte Schule machen. Zwar habe die Modebranche noch etwas Nachholbedarf, was den Umgang mit Daten angehe, sagt Metyis-Berater Jochen Stratmann. Es tue sich aber unheimlich viel: "Denken wir an Trendscouting, an digitale Showrooms und an das Metaverse. Wie kann ich mit der Analyse von Daten die Kreativität sinnvoll unterstützen?"
Das Joint Venture, das im Juli 2021 den Betrieb aufgenommen hat, heißt Your Data HB Digital Campus. Hugo Boss erwarb im Laufe von 2021 einen Anteil von 15%, der mit der Zeit aufgestockt wird. Bis Juli 2026 hat Hugo Boss das Recht, die Firma komplett zu übernehmen. Der Preis bemesse sich an der "Erreichung bestimmter Leistungsindikatoren", heißt es im Hugo Boss-Geschäftsbericht. Durch das Joint Venture will Hugo Boss schneller ans Ziel kommen. Zudem sei es von Vorteil, das erworbene Know-how später ins eigene Haus holen zu können, sagte Finanzchef Yves Müller.
Die Datencracks in Portugal sollen Hugo Boss dabei unterstützen, mit den richtigen Produkten und Kampagnen aufzuwarten und die Erlebniswelt im Digitalen optimal abzubilden, um so das Wachstum hochzuhalten. Auf Zuwächse von 7% und 12% im dritten und vierten Quartal 2021 ließ Hugo Boss in den ersten drei Monaten 2022 ein währungsbereinigtes Umsatzplus von 17% gegenüber der Vergleichsperiode 2019 folgen. Mit 772 Mio. Euro erwirtschaftete das Unternehmen so viel wie noch nie im ersten Quartal.
Allerdings kostet das auch einiges. Mit 80 Mio. Euro, was über 10% des Umsatzes entspricht, steckte Hugo Boss doppelt so viel ins Marketing wie in den Jahren 2019 und 2021. Mit dem New Yorker Kreativen Trey Laird brannte die Firma ein Werbefeuerwerk ab, an dem Models wie Hailey Bieber, Rapper wie Saint Jhn sowie TikTok-Stars wie Khaby Lame mitwirkten. Boss lud zur Wüstenshow in Dubai, Hugo nahm auf dem kalifornischen Hype-Festival Coachella teil.
"Exzellent ausgebildet": Portugal ist mit einer Fülle an jungen Tech-Talenten gesegnet.
Der Auftakt bestärkt Grieder darin, trotz Inflation und Ukraine-Krieg an seinem Ausblick festzuhalten. Nach wie vor stellt er in Aussicht, den Umsatz 2022 um 10% bis 15% auf 3,1 bis 3,2 Mrd. Euro zu steigern und auf ein um 10 bis 25% höheres Ebit-Ergebnis von 250 bis 285 Mio. Euro zu kommen.
Obwohl das Joint Venture in Porto für Hugo Boss rein finanziell "unwesentlich" ist, wie es im Geschäftsbericht heißt, hat es Leitwirkung im Unternehmen. Mit dem Partner Metyis hat sich Hugo Boss ein Beratungs- und Serviceunternehmen an die Seite geholt, das nach eigenen Angaben "eine zweistellige" Zahl an Firmen aus der Mode und dem Handel in Europa auf seiner Kundenliste stehen hat. Eine davon ist die AWWG-Gruppe um Pepe Jeans, Hackett und Façonnable.
"Wir schreiben keine langen Berichte"
Metyis verbindet das traditionelle Consulting mit der personalintensiven Umsetzung und ist bereit, mit den Klienten ins Risiko zu gehen. Die Philosophie, dass Projekte nicht mit Abgabe der Power Point-Folien enden, spiegelt sich im Werdegang der Metyis-Partner wider. Jochen Stratmann, der das Projekt mit Hugo Boss leitet, blickt auf eine 20-jährige Erfahrung im Consulting zurück. Sein Kollege Pieter Haas kommt aus der Praxis. Der Niederländer war zuvor Vorstand bei Metro und der Elektronikkette Mediamarkt Saturn, deren Omnichannel-Strategie er mit definierte.
"Aus Erfahrung kann ich sagen, dass die meisten Unternehmen nicht an einer falschen Strategie, sondern an einer mangelhaften Umsetzung scheitern", sagt Metyis-Partner Haas. "Wir schreiben keine langen Berichte, die in Schubladen verschwinden. Wir streben echten Impact an." Statt einfach nur Tagessätze abzurechnen, sei das Team auf dem Digitalcampus "voll darauf fokussiert", "mehr Umsatz und Gewinn" zu liefern. Die Zielvorgaben seien "klar" und würden auch "genau gemessen", sagt Haas.
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Was die Datenwissenschaftler in Porto genau für Hugo Boss erheben, ist ein gut gehütetes Geheimnis. Es handele sich um Daten über die "gesamte Wertschöpfungskette" hinweg. Das könnten Analysen der Wettbewerber, des Kundenverhaltens, des Designs und des E-Commerce sein, sagt Haas: "Man kann Daten noch viel breiter einsetzen als bisher. Man kann sie beispielsweise nutzen, um die Kollektion und die Kommunikation zu optimieren. Was funktioniert? Was funktioniert nicht?" Der Digitalcampus helfe Hugo Boss dabei, näher an den Endkunden zu kommen. "Es geht dabei nicht nur um den eigenen Webshop, sondern um alle Kanäle, inklusive Partnerschaften mit Multibrand-Händlern."
Vorbild Apple, Lob für Cartier
Ein Vorbild sei Apple. "Auch wenn sich die Apple-Welt nicht eins zu eins auf andere Branchen übertragen lässt, so ist die Kernidee, den Kunden zu verstehen und ihm nahe zu kommen, für alle Sektoren gleich gültig", sagt Haas, der auch Luxusmarken wie Cartier lobt: "Eine Brand wie Cartier macht vor, wie man den Kunden über alle Kanäle hinweg sehr umfassend betreut. Die gesamte Kundenreise wird digital unterstützt. Cartier hat viel dafür getan, die Kundenreise mit Leben zu füllen."
Damit die Energie aus Porto nicht verpufft, werde es "multidisziplinäre Teams" mit Metzingen geben, sagt Metyis-Partner Stratmann: "Der Digitalcampus darf kein Elfenbeinturm werden." Er verdeutlicht das am E-Commerce: "Wir stehen in ganz engem Austausch mit der E-Commerce-Organisation und dem Head of E-Commerce. Es geschieht nichts, was nicht mit ihm abgestimmt wird."
Dass die Wahl auf Porto gefallen ist, hat mit Datenwissenschaftlerinnen wie Sara Magalhães zu tun. Solche "exzellent ausgebildeten" Nachwuchskräfte, die dazu noch gut Englisch sprechen, findet Metyis in ausreichender Zahl eben nicht in Schwaben, sondern in Portugal, Spanien oder Indien, sagt Haas: "Verfügbare E-Commerce- und Datenexperten sind in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Holland extrem schwer zu finden. Die Region Osteuropa, die zuvor sehr populär war, ist schwieriger geworden."
Tech-Hub Portugal
Portugal hat sich zu einem Tech-Hub gewandelt, der auf strategisch wichtigen Gebieten wie der Künstlichen Intelligenz, dem maschinellem Lernen und der IT-Sicherheit weit vorne ist. Das ist mit ein Verdienst der Regierung, die Firmen und Gründer aus dem Ausland anlockt. Sie hat die Initiative Startup Portugal ins Leben gerufen, die mit Gutscheinen Anschubhilfe gibt und die Vergabe von Aufenthaltsbewilligungen erleichtert. Mit dem Fonds 200M flankiert der Staat private Wagniskapitalgeber und schießt die Hälfte der Finanzierung zu. Zudem unterstützt die öffentliche Hand den Web Summit, eine Konferenz, auf der sich die Tech-Branche austauscht.
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Marketing-Welle, Collab mit Replay und Coachella statt Pitti
2022 soll das Jahr von Hugo Boss werden. CEO Daniel Grieder ist mit mächtig Wums gestartet und hat in den ersten drei Monaten einen Rekordumsatz vorgelegt. Doch hält er den Schwung aufrecht? Die TW hat sich zehn Highlights aus der Auftaktbilanz herausgepickt.
Städte und Gemeinden ziehen mit. Der Porto Tech Hub bietet mit Switch Umschulungen für Mitarbeiter an, die keine IT-Kenntnisse mitbringen, es aber dennoch in den Tech-Sektor zieht. "Porto ist eine Stadt, die Firmen willkommen heißt", sagt Luís Silva, Präsident von Porto Tech Hub. Er rechnet fest damit, dass andere internationale Firmen auf Hugo Boss folgen und sich in Portugal ansiedeln werden. "Trotz Inflation sind die Lebenshaltungskosten immer noch niedriger als in anderen europäischen Ländern", sagt Silva.
Unicorn mit portugiesischen Wurzeln
Um erfolgreiche Start-ups wie den Marktplatz Farfetch, der aus Porto stammt, ist ein Ökosystem entstanden. "Farfetch war das erste Unicorn mit portugiesischen Wurzeln. Farfetch-Macher José Neves hat womöglich andere Gründer motiviert, die in seine Fußstapfen getreten sind", sagt Ricardo Marvão, Co-Gründer und Head of Global Growth & Partnerships der Beratungsgesellschaft Beta-i. Unicorns sind Firmen mit einer Marktbewertung von über 1 Mrd. Dollar – vor dem Börsengang oder Exit.
Nach Farfetch sind mit OutSystems, Talkdesk, Feedzai, Remote, Sword Health und Anchorage Digital sechs weitere Einhörner in Portugal hinzugekommen.
Gründer wie Neves, die es nach oben geschafft haben, spielen Mäzen. Der Farfetch-Erfinder hat sich an Platform E beteiligt. Die Firma in Porto erleichtert es Marken und Händlern, Produkte zu personalisieren, indem sie rein digitale Prototypen erstellt, die dann in Portugal produziert werden. Es sei eine "On Demand-Produktion" in kleinen Losgrößen, sagt Marvão: "Sie verbindet das Digitale mit dem Physischen."
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Hugo Boss: Mit Werbung für 80 Millionen zum Rekordquartal
CEO Daniel Grieder will den Umsatz von Hugo Boss auf vier Milliarden Euro hieven. Dazu greift er tief in die Marketingkasse. In den ersten drei Monaten 2022 gab der Schweizer mehr als 10% des Umsatzes für Werbung aus. Dank der Kampagnen kletterte der Umsatz im Vergleich zu 2019 um 17%. An den Zielen für das laufende Jahr hält er trotz Inflation und Ukraine-Krieg fest.
Es sind nicht allein Daten, sondern auch pfiffige Lösungen wie diese, die sich Hugo Boss von seinem portugiesischen Tech-Team erwartet. Eine Schlüsselfunktion hat André Covas. Der 34-Jährige wird als Head Designer bei Metyis darauf achten, dass sich Hugo Boss im Digitalen genauso präsentiert, wie es zum neuen Markenselbstverständnis passt.
Seine Aufgabe ist es, die "Experience im Stationären" durch das Digitale "aufzuwerten" und die "Schnittstelle" zum Kunden zu justieren. "Wir müssen sicherstellen, dass Kunden dank der Technologie auf neue, innovative Weise mit Hugo Boss interagieren."
Natürlich vertraut Covas dabei auf Daten. Aber eben auch auf sein Gespür. Der Designtheoretiker hatte zu Uni-Zeiten ein Streetwear-Label, das "von brasilianischem Favela-Funk und Musik" beeinflusst war. Eine Marke könne nicht diktieren, welche Gefühle sie auslöse, sagt Covas: "Wir haben es mit der menschlichen Natur zu tun. Selbst wenn du viele Daten hast, machen Einfallsreichtum und Kreativität den Unterschied."