Triathlon? Wer macht schon Triathlon? Nicht besonders viele Menschen, zumindest nicht im Vergleich zu Volkssportarten wie Joggen oder Fußball spielen. Schon gar nicht in Corona-Zeiten. Und doch ist die Nische einen Blick wert. Insbesondere eine Activewear-Brand aus der Szene: Ryzon, 2016 gegründetes D2C-Sportlabel aus Köln.
Diese hat mit
Jan Frodeno einen der weltweit stärksten und prominentesten Triathleten als Gesellschafter und Markengesicht an Bord geholt. Er ist sowohl Olympiasieger als auch mehrfacher Gewinner der prestigeträchtigen Ironman-Wettbewerbe.
Top-Athlet Jan Frodeno ist ein wichtiger Faktor für die Verankerung der Marke in der Triathlon-Szene.
Doch die Ryzon-Reichweite geht über die Bubble von Extremsport-Fans und Aerodynamik-Nerds hinaus. Die Brand schiebt sich verstärkt aufs Relevanz-Radar im Lifestyle-Markt. Und ein Blick in die jüngere Vergangenheit hat gezeigt, dass es im Active-Business teilweise sehr schnell passieren kann, dass Newcomer das Establishment aus der Nische vor sich hertreiben.
Beispiel On. 2010 in der Schweiz als Laufschuhmarke gegründet, wird das Unternehmen inzwischen an der New Yorker Börse gehandelt. Umsatz heute: Knapp eine halbe Milliarde US-Dollar. Beispiel Gymshark. 2012 in Großbritannien gegründet, soll das Unternehmen inzwischen über 1 Mrd. Pfund wert sein. Ein Börsengang dürfte nur eine Frage der Zeit sein.
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Die einen rannten buchstäblich zur Börse, die anderen feierten still – bei allen war der Run auf die Aktien groß. Das waren die drei spannendsten IPOs in 2021.
Von diesen Werten ist Ryzon noch meilenweit entfernt. Die Umsätze liegen im mittleren einstelligen Millionenbereich. Doch es gibt andere Gründe als schiere Größe, die dafür sprechen, sich eingehender mit dem Kosmos der schnellen Sportler zu befassen.
Fashion-Player haben schon die Fühler in die Welt von Wattkurbel und Windschatten ausgestreckt. Burberry hat im vergangenen Jahr als erste Luxus-Marke ein Team der Tour de France gesponsert (Qhubeka NextHash). Stella McCartney hat sich mit der US-Radmarke Cannondale zusammengetan und Sondermodelle entworfen.
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"Wir haben eine Marge wie eine Luxusmarke"
Mit einem spektakulären Börsendebüt schreibt der Running-Spezialist On die Erfolgsstory weiter, die erst vor elf Jahren in Zürich begonnen hat. Das soll alles nur der Anfang gewesen sein: "Wir werden nicht ruhen, bis wir die Nummer Eins sind", kündigt Mitgründer Caspar Coppetti an.
Auch hierzulande tut sich was: Drykorn wagt sich mit
einer Kapsel für Rose Bikes ans Zweirad. Und Closed hat jüngst den Radprofi Rick Zabel schon als Testimonial gefeatured.
Auch das Kölner Label ragt mehr und mehr aus der Triathlon-Nische heraus. Einen besonderen Peak der Aufmerksamkeit gab es im vergangenen Jahr. Wer sich auch nur am Rande für Ausdauersport interessiert, kam an dem Namen Jonas Deichmann nicht vorbei.
Jonas Deichmann hat mit seinem Triathlon um die Welt der Marke Ryzon zu deutlich größerer Sichtbarkeit verholfen.
Der Sportler und Vollzeit-Abenteurer war zu einem Triathlon um die Welt aufgebrochen. Sprich: Zu einer Reise um den Globus – schwimmend, laufend und auf dem Fahrrad. Nach 430 Tagen kam er wieder in Deutschland an und hatte zusammengerechnet 120 Ironman-Distanzen absolviert, also 450 Kilometer Schwimmen, 21.000 Kilometer Radfahren und 5060 Kilometer laufen.
Immer mit dabei: Die stetig wachsende Followerschaft auf Instagram (inzwischen über 130.000 Anhänger). Und die Bekleidung von Ryzon. Ob in der Hitze Mexikos oder in der Kälte Russlands - stets war das Logo, das abstrahierte Ryzon-R, zu sehen.
Das Medienecho war gewaltig. Und das in Zeiten, in denen viele Sportmarken – wie auch Ryzon selbst – aufgrund fehlender Top-Events, nicht auf die Präsenz bei Wettkämpfen und Co setzen konnten. Wie groß der Hype um Deichmann und seinen Trip wurde, war auch für Ryzon-Gründer Mario Konrad nicht absehbar. Rückblickend ein kluger Schachzug, die Marke so stärker in der Welt von Weltreise und Bikepacking zu verorten. Und einen starken Content-Bringer an der Seite zu haben.
Die Ryzon-Chefs und -Gründer Markus und Mario Konrad und Fabian Jung steuern die Brand aus Köln.
Doch wie war der Weg der Marke und Macher vor der Reise um die Welt? Wer sind die treibende Köpfe und wohin steuern sie die Brand in Zukunft? 2016 wurde Ryzon von den aktuellen Chefs gegründet. Mario Konrad hat VWL studiert und leitet heute im Unternehmen den Business-Part. Sein jüngerer Bruder Markus hat ein Diplom in sportmedizinischer Technik und ist das Mastermind für die Performance der Produkte.
Fabian Jung, der dritte im Bunde, bringt als studierter Designer die gestalterische Komponente ein und verantwortet Ästhetik und Kommunikation des Labels. Er war es auch, der den entscheidenden Anstoß für die Gründung der Marke gab.
"Fabian hat uns zum Ironman nach Frankfurt begleitet", blickt Mario Konrad, selbst passionierter Triathlet, zurück. "Und mit seiner unvoreingenommenen Sicht von außen hat er direkt festgestellt: "Hier sieht ja alles gleich aus.' Alles war entweder bunt, mit Streichpreisen oder Funktion."
Es habe jedoch aus ihrer Sicht keine Brand gegeben, die über Emotionen kommunizierte, über Hochwertigkeit und Design. Der Ansatz für die Nische in der Nische war gefunden.
Emotionale Inszenierung im Fokus. Ryzon sieht sich als Sport- aber auch als Lifestyle-Brand.
Dass es nicht bei der Idee und einem "man müsste mal" geblieben ist, ist auch dem Unternehmergeist der Konrad-Brüder geschuldet. Schon vor dem Ryzon-Launch waren beide im Sport-Business aktiv gewesen. Während des Studiums meldeten sie ihr erstes Gewerbe an und verkauften Triathlon-Bedarf an die Community, vom Neopren-Anzug bis zum Fahrradrahmen.
"Im Grunde haben wir anfangs einfach das, was wir selbst brauchten, eingekauft und dann weiterverkauft", blickt Mario Konrad zurück. Durch Zufall habe sich so auch der Kontakt zu Skinfit ergeben, einem österreichischen Anbieter von Sport- und Outdoor-Bekleidung, dessen Deutschland-Geschäft die beiden nach dem Studium schließlich aufbauten. Als das Skinfit-Mutterunternehmen die Ländergeschäfte wieder an sich zog, verkauften die Brüder ihr Business an den Konzern und widmeten sich der Gründung der eigenen Brand.
Nach dem Ironman-Erweckungserlebnis arbeiteten Jung und die Konrads das Konzept aus. Und konnten damit Jan Frodeno, den sie schon vorher persönlich kannten, vom Einstieg überzeugen. Und das, obwohl klar war, dass man es von Beginn an "Bootstrapped" angehen wollte – also ohne größere Investoren im Hintergrund.
Neben den drei operativen Gründern und heutigen Chefs wurden so Jan Frodeno und sein Manager Felix Rüdiger bei Ryzon beteiligt. Auch ein Tech-Pionier mit Fashion-Branchen-Background ist Gesellschafter: Jan Kemper, ehemals Finanzchef bei Zalando und heutiger CFO der Bank N26, hält Unternehmensanteile.
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Store to watch
Bikewear-Marke Q36.5: Schmuckkasten in Zürich
Anfang Dezember öffnete der erste Flagship-Store der Bikewear Marke Q36.5 seine Türen. Neben einem Testbereich gibt es das komplette Sortiment der Marke zu sehen. Clean und aufs Wesentliche konzentriert stellt das Store-Konzept die Produkte in den Vordergrund.
Im Markenkonzept wurde der Fokus nicht nur aufs Premium-Segment gelegt, sondern auch auf eine abgeräumte Design-Sprache und den Direktvertrieb. "Es bringt zwar ein, zwei Killer-Nachteile mit sich, aber auch viele Vorteile", sagt Konrad. Nachteil eins: die Finanzierung. "Du musst am Ende des Tages alles selbst vorfinanzieren und darauf hoffen, dass es dir Einzelkunden dann abnehmen." Kein Verbund, kein Filialist, der eine Order platziert, die für Sicherheit sorgt.
Nachteil zwei: Die fehlende Sichtbarkeit als Newcomer. "Schnell zu wachsen ist natürlich leichter, wenn man über Vertreter in viele Läden kommt." Die Ryzon-Macher sahen und sehen jedoch Vorteile. Als da aus ihrer Perspektive wären: Markenhoheit. "Nur als D2C-Brand hast du die volle Kontrolle über die Brand", ist sich Konrad sicher. Und: Kundenhoheit. "Es ist zwar teurer einen Kunden zu gewinnen, aber wenn man ihn hat, ist die Verbindung zur Marke stärker."
Produktion fast ausschließlich in Europa
Dritter Punkt: Mehr Raum bei Wareneinsatz und Kalkulation. Bis auf Caps und Rucksäcke produziert Ryzon alles in Europa und bleibt dennoch in wettbewerbsfähigen Preislagen, heißt es. Das gelinge nur über die schlank aufgestellten Strukturen. Bike-Jacken kosten im VK etwa 200 Euro, Langarm-Laufshirts zwischen 90 und 100 Euro und Casualwear-Produkte wie Sweats zwischen 100 und 200 Euro. Produziert wird in Italien, Portugal und Litauen.
Das Portfolio der Brand umfasst mittlerweile rund 200 Produkte. Darunter neben sehr performanten Styles wie Race Suits, Lauf- und Radhosen unter der Headline Recharge auch Freizeit-Bekleidung wie Sweater und Hoodies. Denn: "Wir wollen keine reine Triathlon-Brand sein", sagt Konrad.
Vom Zeitrad bis zur Couch
Vom Wettkampf bis zur Off-Season, vom Zeitrad bis zur Couch will die Marke alle Lebensbereiche ansprechen und abdecken. Ein Anspruch, der besondere Herausforderungen an die Markenführung stellt. Wie lässt sich das elitäre Image einer zeit- und kostenintensiven Sportart wie Triathlon mit Freizeit-Attitüde und Casual-Styles vereinen?
"Wir haben schon immer sehr bewusst neben Jan Frodeno auch andere Testimonials gehabt", sagt Konrad. Wie etwa den bereits erwähnten Jonas Deichmann. Denn auch wenn kaum jemand versuchen dürfte, es dem Abenteurer gleichzutun – wenn Shirt und Jacke bei seinem Trip um die Welt gehalten haben, dürften sie für den Bikepacking-Trip in heimischen Gefilden auch gut passen. Oder für den Weg mit dem Rad zur Arbeit.
Das erklärte Kommunikationsziel: Nicht als unnahbare Spezialisten-Marke wahrgenommen zu werden. Das in Zeiten von Corona mit wenigen persönlichen Begegnungen zu transportieren ist keine leichte Aufgabe. Auf Sport-Events habe man sonst die Marke repräsentieren und mit eigener Coffee-Lounge Nahbarkeit vermitteln können.
In Köln (Foto) und Girona gibt es aktuell Ryzon-Stores. Daneben betreibt die Brand immer wieder Pop-ups, etwa in Mallorca.
Ohne Wettkämpfe entstand eine Lücke. Und so wurden in den vergangenen zwei Jahren in Städten wie Hamburg und München zum Beispiel Coffee Rides veranstaltet. Ausfahrten mit der Community, bei denen Organisation und (Kaffee-)Support von Ryzon kommen. "Das hat sehr gut funktioniert", sagt Konrad.
Die Umsätze sind indes fast komplett ins Digitale gewandert. Machten Verkäufe auf Sport-Events und in den eigenen Shops in Köln und Girona sowie in wechselnden Pop-ups etwa auf Mallorca in den Sommermonaten vor Corona noch 30 bis 40% der Umsätze aus, kommt jetzt der Löwenanteil aus dem E-Com. Ein Fünftel läuft über die eigene App, wo der Anteil treuer Kunden besonders hoch sei. "92% sind in der App Returning Customers", sagt Konrad.
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#75JahreTW: Max von Senger, Standert Bicycles, Berlin
Be fast or be last
Sind Rennräder die neuen Sneaker? Max von Senger ist mit seiner Berliner Radmarke Standert Bicycles Impulsgeber einer wachsenden Community, die ihre Wattzahlen genauso im Blick hat wie die Farbe der Jerseys und die Länge der Socken.
Welche Storys sollen die Ryzon-Reise nun weiter antreiben? Ein wichtiger neuer Content Creator in diesem Jahr steht schon in den Startlöchern: André Greipel. Der Rennradfahrer, einer der erfolgreichsten Rad-Sprinter der Welt, mehrfacher Tour de France-Etappensieger, hat im vergangenen Jahr seine aktive Karriere als Profi beendet. Und ist vielleicht gerade deshalb für Ryzon als neues Testimonial interessant.
Sportlich ist er nach wie vor aktiv, stellt auf Instagram aber nicht das massive Trainingspensum eines Tour de France-Fahrers in den Mittelpunkt, sondern eher Ausfahrten im Kölner Umland. Immer noch schnell, aber deutlich nahbarer unterwegs. Und mit dem Karriere-Ende schnürt Greipel auch öfter die Laufschuhe und setzt die Badekappe auf. Dass er jetzt für einen Triathlon trainiert, hat er schon durchblicken lassen.
Gibt es von Ryzon wohl irgendwann auch den Running-Schuh dazu? Bisher sei nichts dergleichen geplant, sagt Mario Konrad. Aber: "Mein Bruder hatte schon während des Studiums ein ausgeprägtes Faible für Laufschuhe." Nicht ausgeschlossen, dass Shooting-Star On die Konkurrenz aus Köln irgendwann im Nacken hat.