Was für ein Signal: Mit Intersport, Sport 2000 und Decathlon üben die drei größten Akteure des Sporthandels einen historischen Schulterschluss. Im gemeinsamen Gespräch mit der TW erklären die drei Chefs, was sie jetzt noch von der Politik fordern, wo die Grenzen beim Verschicken von Sportartikeln liegen und welchen besonderen gesellschaftlichen Beitrag der Sporthandel leisten kann.
TextilWirtschaft: Wie kam es zu diesem historischen Schulterschluss der drei mit Abstand größten Akteure im deutschen Sporthandel?
Alexander von Preen: Es war mal an der Zeit, diesen Weg zu gehen. International haben Sport 2000 und Intersport das ja für den Wintersport in Österreich auch schon gemacht. Und mit André Weinert sind wir zum Beispiel gemeinsam im Wirtschaftsrat vertreten. Es ging jetzt darum, endlich dem Sporthandel Gehör zu verschaffen in der Politik und unsere Themen besser zu positionieren.
Und es hat sich in den vergangenen Tagen etwas getan in Berlin. Der Sport- und der Modehandel haben es tatsächlich geschafft, sich dieses Gehör zu verschaffen.
Es scheint geholfen zu haben, immer wieder auf die Besonderheiten hinzuweisen. So wie Sascha Dühring von Intersport Olympia am vergangenen Freitag, als Olaf Scholz bei ihm zu Besuch war.
Wie kam es denn dazu?
Er hat über sein Ministerium beim Inhaber Klaus Ott nachgefragt, ob er die Möglichkeit bekäme, sich die Situation vor Ort anzuschauen und sie sich von einem Händler – das war sein expliziter Wunsch – beschreiben zu lassen. Geschäftsführer Sascha Dühring hat ihm dann die Besonderheiten des Sportfachhandels erläutert und mit welchen Herausforderungen in Bezug auf Liquidität das Thema der saisonalen Ware verbunden ist. Der Finanzminister hat sich dafür eine ganze Stunde Zeit genommen. Und es hat offensichtlich geholfen.
Hans-Hermann Deters: Wir hatten auf ANWR-Ebene bereits am 6. Januar den direkten Austausch mit den mit der Sache befassten Beamten des Bundeswirtschaftsministeriums und hatten dort auch wichtige Händler der ANWR und Sport 2000 eingebunden. Wir hatten eine hohe Handels- aber auch Steuer-Expertise an Bord, da einer der Händler auch einen Wirtschaftsprüfer-Hintergrund hat. Das Ministerium hat daraufhin unseren Vorschlag übernommen, die Teilwert-Abschreibung als ersetzbare Fixkosten zu klassifizieren. Wir sehen das als einen großen Erfolg. Es ist einfach wichtig, dass wir auf allen Ebenen mit dem nötigen Sachverstand Aufklärung betreiben und die Politik mitnehmen.
Und Sie meinen, dass Sie diesen Beitrag nur leisten können, wenn Sie Ihre Geschäfte öffnen dürfen? Ist das ein wichtiger Kern Ihrer Forderung?
Es ist ein Bestandteil. Ich möchte unterstreichen, dass wir Händler sind und keine Virologen, Ärzte oder das RKI. Das abschließend zu beurteilen, liegt nicht in unserer Verantwortung. Unsere Verantwortung ist es aber sehr wohl, auch andere Seiten aufzuzeigen und Dinge zu hinterfragen. Wir reden zum Beispiel in den letzten Wochen unheimlich viel vom Online-Handel. Ja, das Einkaufsverhalten verändert sich. Aber an dem großen Zuspruch für unsere Click & Collect-Services sehen wir, dass die Kunden nach wie vor gerne in die Geschäfte kommen möchten. Gleichzeitig ist der klassische Online-Handel keinesfalls kontaktlos, obwohl das immer suggeriert wird.
Wie viele Kunden nutzen denn Click & Collect bei Decathlon?
Wir hatten vergangene Woche für den Service ‚Click & Collect 1 h‘, bei dem Kunden online Produkte in der Filiale reservieren und innerhalb von einer Stunde abholen können, in Deutschland 19.000 Bestellungen. Das zeigt auf, dass die Kunden genau den Kontakt suchen. Etwa, um die Beratung und vielleicht auch den einen oder anderen Tipp zu bekommen oder sich zu vergewissern, wirklich das richtige Produkt gewählt zu haben. Was eine solche Beratung angeht, gibt es im Online-Handel teilweise Grenzen.
Gleichzeitig weisen Sie darauf hin, dass auch der Online-Handel nicht kontaktlos abläuft. Welche Schlüsse sollte die Politik daraus ziehen?
Das abzuwägen ist nicht unsere Aufgabe. Aber Kontakte gibt es hier eben auch, die werden nur häufig nicht berücksichtigt, da sie nicht sichtbar sind. Es gibt die Logistikzentren mit vielen Mitarbeitern, die Carrier für die letzte Meile, und es gibt den Kontakt, wenn das Paket übergeben wird. Nicht zu vergessen: das Thema Retouren. Wir sprechen im Textilbereich von Retourenquoten von über 50 %. Was passiert damit? Die Kunden gehen zur Post oder Paketstelle, sind also draußen und bewegen sich und geben das Päckchen wieder ab. Nicht nur der stationäre Handel sorgt für Bewegung und für Kontakte, sondern auch der Online-Handel.
Deters: Ich möchte da noch einmal betonen, dass wir die Maßnahmen nicht infrage stellen und das Thema Gesundheit ganz obenan stellen. Insofern fordern wir nichts, was die Maßnahmen gefährdet. Auf der anderen Seite glaube ich aber auch, dass der Sporthandel nicht vergleichbar ist mit anderen Non-Food-Händlern. Ich habe kürzlich einen interessanten Artikel in der NZZ gelesen, in dem der Autor dafür plädiert, den so genannten social return on invest, den SROI, auf den Sportfachhandel anzuwenden. Diese Kennzahl, mit der bislang nur Non-Profit-Organisationen bewertet werden, kann die Sozialrendite von Branchen oder Unternehmen messbar machen. Und die Sozialrendite des Sporteinzelhandels ist sicher eine andere als die von Baumärkten. Denn wir können einen Beitrag leisten zur Gesunderhaltung der Bevölkerung.
Hätten Sie Forderungen nach finanzieller Unterstützung unterschrieben, Herr Weinert? Decathlon konnte 2020 in Deutschland sogar weiter wachsen.
Weinert: Ich finde, in diesem Kontext ist es wichtig, nicht über einzelne Unternehmen zu sprechen, sondern für den Sporteinzelhandel. Wir kommen aus dem Sport und genauso geht es hier auch zu, man tritt im Wettbewerb gegeneinander an, aber für die gemeinsame Sache zählen der Zusammenhalt und Fair Play. Von daher stand eine gemeinsame Zusammenarbeit nie in Frage, und es war ganz klar, dass wir hier an einem Strang ziehen.
Was erhoffen Sie sich?
Deters: Unsere Händler benötigen eine Perspektive. Viele wissen noch nicht, wie sie die nächsten Monate überstehen sollen.
Von Preen: Bei jedem Unternehmer steht im Vordergrund, dass er sein Geschäft betreiben kann. Wir wollen ja gar nicht von Förderungen abhängig sein, sondern unser Geschäftsmodell betreiben. Und wenn wir das aufgrund staatlicher Eingriffe nicht können, stellt sich die Frage, wie der Staat unterstützt.
Es wird relativ schnell gesagt, die Situation für die Händler sei nur deswegen so dramatisch, weil alle irgendwie geschlafen haben beim Thema Digitalisierung. Wie argumentieren Sie dagegen?
Deters: Natürlich ist Digitalisierung wichtig. Es geht aber nicht darum, dass jeder stationäre Händler zum Päckchen packen motiviert werden sollte. Es gibt nach wie vor Händler, die gute Gründe haben, sich auf ihr Stationärgeschäft zu konzentrieren – und nicht auch noch ein bisschen online zu machen, weil das jetzt alle machen.
Von Preen: Es zeigen sich ja auch zunehmend die Grenzen des Online-Handels. Wie schnell kann man beliefern? Welche Umwelt-Themen nimmt man dafür in Kauf? Das ist ja alles noch nicht zu Ende diskutiert. Und wir glauben, dass der stationäre Handel auch in Zukunft seine Berechtigung haben wird mit einem Umsatzanteil von 50 bis 60%. Wenn wir die Möglichkeit haben werden, wieder richtig einkaufen zu gehen, ohne Angst, dann wird es eine Renaissance des stationären Handels geben, davon bin ich überzeugt.
Weinert: Ich bin auch kein Freund dieser Extreme. Am wichtigsten ist es, unseren Kunden gut zuzuhören. Beides hat seine Daseinsberechtigung, beides muss funktionieren und beides muss den Kunden zur Verfügung stehen. Der Kunde entscheidet zu guter Letzt, welchen Kanal er für welches Produkt nutzt. Die Wahrheit liegt da in der goldenen Mitte.
Schwierige Frage, wir stellen Sie trotzdem: Wann denken Sie, werden die Läden wieder eröffnen?
Von Preen: Wir gehen von zwei möglichen Szenarien aus. Einmal von der Wiedereröffnung Mitte Februar, vielleicht der Sportfachhandel in einer bevorzugten Rolle. Das zweite Szenario geht von Ende Februar aus. Das ist aber ehrlich gesagt momentan unser Maximal-Szenario. Die beiden Shutdowns haben bis zum heutigen Tage die Rücklagen der Händler der letzten zehn Jahre aufgefressen. Und wie lange ist das noch möglich? Mit den Liquiditätshilfen, wie sie ja jetzt hoffentlich kommen, sollte es bis Ende Februar zu schaffen sein.
Wie finden Ihre Händler eigentlich diesen Schulterschluss? Welches Feedback bekommen Sie?
Von Preen: Durchweg positives, bis hin zu ‚Das ist brillant, dass Ihr gemeinsam den Sportfachhandel so positioniert!‘
Deters: Auch ich habe keine einzige kritische Rückmeldung. Es kamen sowohl von Händlern als auch von Industrieseite viel Zustimmung und sogar Glückwünsche zu der konzertierten Aktion.
Sind ähnliche Kooperationen für die Zukunft vorstellbar?
Als Jurist bin ich sehr vorsichtig bei dem, was ich jetzt sage. Aber es gibt natürlich Bereiche, in denen wir nicht im Wettbewerb sind, in denen wir aber gemeinsame Interessen haben. Und da können wir alle kreativ sein und zusammen an Dingen arbeiten. Das kann etwa die Qualität von Daten betreffen, ich denke nur an das leidige Stammdaten-Thema. Allein diese Initiative zeigt ja, dass es gemeinsame Themenfelder gibt. Und da gibt es sicher noch weitere.
Wettbewerbsübergreifender Appell des Sportfachhandels
Spektakulärer Schulterschluss von Decathlon, Intersport und Sport 2000