TW: Herr Engelhorn, Herr Weger, rund vier Jahre nach Eröffnung des neuen Sporthauses haben Sie noch einmal umgebaut. Was haben Sie gemacht und warum ausgerechnet jetzt?
Armin Weger: Wir waren vor vier Jahren die ersten, die Running und Fitness nach Gender getrennt haben. Das war sehr erfolgreich. Die Durchschnittspreise sind sowohl in der Damen- wie auch in der Herrenabteilung gestiegen. Jetzt sind wir diesen Schritt im Bereich Outdoor gegangen. Ein kompletter Paradigmenwechsel. Bislang hat sich das bei Outdoor in dieser Konsequenz niemand getraut.
Was lässt Ihre Mitbewerber zögern?
Weger: Die größte Herausforderung ist es, die Unterschiede auch in der Hartware herauszuarbeiten, nicht nur im Textilbereich. Wir sehen aber vor allem eine Chance, ganz neue Akzente im Sortiment zu setzen. Gerade im Woman-Segment.
Fabian Engelhorn: Noch vor 15 Jahren gab es gar kein Woman-Segment in der Outdoor. Da gab es Männer und Unisex. Das war auch ein Grund, warum wir den Schritt zum Umbau des Sporthauses 2017 noch nicht gemacht haben. Eine Etage mit über 1000 m² darf natürlich nicht leer oder inkompetent wirken. Aber in den letzten drei Jahren hat sich viel getan, nicht nur im Bereich Outdoor wurde das Jahrzehnt der Frauen ausgerufen. Jetzt haben sich die Sortimente in Tiefe und Breite so weiterentwickelt, dass wir das Thema kompetent auf einer Etage nur für unsere Kundinnen präsentieren können.
Bei den aktuellen Inzidenz-Werten müssen die sich wohl noch etwas gedulden.
Engelhorn: Das ist zu befürchten. Immerhin: Die Handwerker hat der Lockdown gefreut, weil es für sie der erste Umbau bei Engelhorn ohne Hektik und Eröffnungsdruck war. Ich hätte es mir natürlich anders gewünscht. Aber wir werden das Konzept auch in unserem neuen Online-Shop umsetzen und dort digital zeigen, wie wir gerade das Sortiment verändert haben.
Was haben Sie verändert?
Weger: Wir haben in unserem Markenportfolio die Größeren gestärkt. Wir haben zum Beispiel Patagonia, bislang bei uns unterrepräsentiert, mehr Raum gegeben. Nicht zu vergessen ein Anbieter wie Mammut, der mit seiner mutigen Neu-Ausrichtung mit dafür gesorgt hat, dass wirklich ein Ruck durch die Outdoor-Branche ging. Oder auch Schöffel, der sich gut entwickelt. Grundsätzlich versuchen wir, technische und modische Aspekte, sprich Sports und Fashion, zusammenbringen.
Wie sieht das aus?
Weger: Nehmen wir zum Beispiel Adidas Terrex, eine sehr technische Ware, aber unfassbar modisch. Oder Rapha. Das ist nicht nur eine Bike-Kollektion, sondern auch Urban Outdoor. Diesen Themen wollen wir mehr Raum geben, sich zu präsentieren. Wir wollen diesen Total Look zeigen, in dem die junge Zielgruppe heute auf den Berg geht. Das sind nicht mehr klassische Outdoor-Hosen, sondern können auch mal Tights von Nike sein. Dem müssen wir Rechnung tragen, um die junge Zielgruppe auch stationär abzuholen. Auch bei den Schuhen können wir jetzt bei den Damen deutlich kreativer rangehen mit Marken wie On und Birkenstock, aber auch mit Lowa und Keen.
Also hat der Umbau weniger auf der Fläche als im Sortiment stattgefunden.
Weger: Beides. Uns war immer wichtig, dass wir ganzheitlich an die Schnittstellen von Point of Sale, Visual Merchandising, E-Commerce, Inszenierung und Kreativ-Einkauf herangehen.
Was heißt das konkret?
Weger: Früher ist der Merchandiser auf die Fläche gekommen, wenn die Ware bereits dort hing und hat dann versucht, das Bestmögliche rauszuholen. Diesmal haben wir alle Teams vorher abgeholt. Der Einkauf hat berichtet, was er sich bei Schuh, Textilien und Hartware gedacht hat. Dann hatten wir die Bilder für das Visual Merchandising und auch gleich für E-Commerce.
Wie ist der Status Quo beim Umbau des Online-Shops?
Engelhorn: Wir arbeiten ja schon sehr lange mit Salesforce und haben die vergangenen Monate genutzt, um auf eine neue Version umzustellen. Mit dem jetzigen Relaunch des Online-Shops ist er endgültig in der Mobile First-Welt angekommen. Damit werden alle Themen, die für den Kunden heute schnell und einfach sein müssen, wie etwa der Check-Out, besser umgesetzt. Da sind wir in der alten Version an unsere Grenzen gekommen. Außerdem wird die Verbindung zwischen den Bild-Themen, die das Marketing auf der Fläche spielt, und denen im Shop – oder vice versa – sehr viel leichter fallen.
Und Sie führen endlich Sport und Mode in einem Shop zusammen.
Weger: Genau. Es gibt dann nur noch ‚One Engelhorn‘ mit den Kategorien Sport, Fashion und Luxus. Die Seite wird Ende April deutlich wertiger live gehen.
Engelhorn: Außerdem unterziehen wir im Frühsommer unsere Vorteilskarte nach 20 Jahren einem Update. Sie wird mit einem neuen Punktesystem nicht nur stationär, sondern auch online und in unserer Gastronomie einsetzbar sein. Davon versprechen wir uns viele neue Möglichkeiten.
Wie viele Kunden haben Ihre Stammkunden-Karte?
Engelhorn: Etwa 350.000, aber das sind eben bislang nur stationäre Kunden.
Wie viele davon werden Sie in das neue System konvertieren können?
Engelhorn: Schwer zu sagen. Aber wir haben in den vergangenen Monaten natürlich sehr viele Erstkunden im Online-Shop aus der Region gewonnen. Die wollen wir weiter begeistern – und ein wichtiger Bestandteil soll die neue Vorteilskarte sein.
Kannten die meisten Ihrer Online-Kunden die Marke Engelhorn schon?
Engelhorn: Etwa ein Viertel unserer Online-Kunden kommt aus der Region – allerdings logischerweise mit abnehmender Tendenz. Diese Kunden bedienen wir im Haus mit einem hohen Erlebnisfaktor. Einfache Convenience-Produkte wie das weiße Hemd werden von ihnen nun online gekauft. Auf der anderen Seite haben wir den reinen E-Commerce-Kunden, der kaum stationäre Berührungspunkte mit Engelhorn hat. Interessanterweise ist der Anteil der guten Online-Kunden, die sehr viel Geld ausgeben und oft wiederkommen, ähnlich hoch wie der Anteil der guten stationären Kunden, die vielleicht alle zehn Tage in unsere Häuser kommen. Und für beide ist der jeweils andere Kanal eine Ergänzung.
Welchen Kunden kennen Sie besser?
Engelhorn: Menschlich natürlich den stationären, dem begegnen wir persönlich auf der Fläche. Von den Datenpunkten betrachtet, kennen wir unseren Online-Kunden besser. Wobei mir die menschliche Komponente allerdings noch sehr viel näher ist. Die Herausforderung ist es, diesen stationären Kontakt, das stationäre Wissen, in Datenpunkte zu verwandeln, um den Kunden besser zu verstehen.
Wie gehen Sie das an?
Weger: Wir beschäftigen uns sehr stark mit der Weiterentwicklung der Customer Journey und versuchen, das Beste aus beiden Welten zusammenzubringen – also das kuratierte Storytelling mit dem Emotional-Inspirierenden und dem persönlichen Gespräch auf der Fläche. Click & Meet hat gezeigt, wie erfolgreich stationäres Shopping mit persönlicher Anmeldung sein kann, wenn der Verkauf vorab für den Kunden eine Auswahl treffen kann, ihn individuell begrüßt und damit ein stückweit diese beiden Welten zusammenbringt. Wie wird Verkaufen in Zukunft aussehen? Damit beschäftigen wir uns extrem. Denn das haben wir in den vergangenen 13 Monaten gemerkt: Die Menschen haben Lust einzukaufen, aber das Einkaufsverhalten verändert sich.
Engelhorn: Aus den Lehren, die wir aus der Phase des Lockdown ziehen, kann etwas Großes entstehen.
Woran denken Sie?
Engelhorn: Wenn die stationäre Customer Journey über Datenpunkte abbildbar und damit transparenter ist, entwickeln auch die Themen Wholesale und Retail eine ganz neue Dynamik.
Wie das?
Engelhorn: Ist die Customer Journey transparenter, können wir gemeinsam in der Branche bewerten, welchen Anteil der jeweilige Partner an einem Verkauf oder auch am Thema Brand Building hat. Dann würden wir wegkommen von diesem EK/VK-Modell hin zu einer neuen Aufteilung der Wertschöpfungskette. Aber das ist eine Vision, die sicherlich nicht 2021/22 umgesetzt werden kann.

Store des Tages Herbst 2020
Neue Accessoires-Abteilung bei Engelhorn
2018 sind Sie den engeren Schulterschluss mit Ihren Lieferanten eingegangen und haben die Weichen für Engelhorn als Marktplatz gestellt. Wo stehen Sie heute?
Engelhorn: Wir haben bislang knapp 30 Marken angedockt, es werden immer mehr. Es ist ein gutes Modell und eine Chance für Marken, sich bei uns zu präsentieren, ohne dass wir für sie Fläche haben oder sie in den aktuellen Sortimentsmix passen. Umgekehrt ist es natürlich eine Ergänzung zu unseren Sortimenten. Und die wird von unseren Kunden gut angenommen.
Wie genau funktioniert das Modell?
Engelhorn: Der Partner schickt die Ware direkt zu unserem Endkunden. Nach dem Online-Relaunch wird der Partner auch Rechnungssteller sein. Das waren vorher wir. Was die Sortiments-Zusammenstellung betrifft, geben wir Empfehlungen ab.
Nämlich welche?
Engelhorn: Ich brauche von einem Hemden-Spezialisten nicht alle SKUs, sonst haben wir nur noch Hemden in unserem Shop. Aber wir wollen unser Sortiment verbessern und anreichern. Grundsätzlich ist das aber nie eine lange Diskussion mit unseren Partnern. Wir haben die gleichen Vorstellungen.
Haben Sie eigentlich mehr Sport- oder mehr Modemarken an Bord geholt?
Weger: Das hält sich die Waage.
Also die 15 Sportmarken, die Marktplatz können, haben Sie?
Weger: Ich glaube, dass es deutlich mehr können. Aber es ist auch eine Frage von Kapazitäten.
Wobei man von großen Onlinern oft hört, dass speziell im Sport noch nicht so viele Brands in der Lage sind, einen Marktplatz professionell zu bespielen.
Weger: Viele sind offener als in den vergangenen Jahren. Da ist Corona ein Beschleuniger gewesen. Bei vielen ist die technische Anbindung noch ein Thema, da fehlt es an Erfahrung. Aber wir spüren deutlich, dass sich etwas tut. Es war der richtige Zeitpunkt, den Marktplatz zu starten.
Der Start verlief deutlich zäher als gedacht, warum konnten Sie nicht durchstarten wie erhofft?
Engelhorn: Einfach zu viele Code-Zeilen. Im Ernst: Man setzt sich als Unternehmer immer ehrgeizige Ziele. Mein Fehler ist vielleicht, dass ich Ziele offen kommuniziere. Aber die Verzögerungen waren immer noch in einem Rahmen, in dem ich sie ertragen konnte.
Die Idee war auch, Händler-Kollegen mit aufzuschalten. Wie sieht es dabei aus?
Engelhorn: Da sind wir tatsächlich noch nicht dort, wo wir gerne wären. Weil es technisch komplexer ist, Multilabel mit Multilabel zu verknüpfen anstatt ‚nur‘ ein Markensortiment als Ergänzung aufzuschalten. Viele Kollegen sind erst in den letzten Jahren online durchgestartet, viele auch erst im Zuge von Corona. Aber es ist weiterhin meine Vision und mein Ziel, eine gemeinsame Plattform zumindest für die Platzhirsche zu schaffen.
Was sind die größten Hürden?
Engelhorn: Wir haben noch kein ganz ausgereiftes Modell, wie wir anfallende Kosten verrechnen. Ich habe mir das vor vier Jahren leichter vorgestellt und mir auch mehr Offenheit gewünscht im Markt. Aber ich werde die Idee nicht aus den Augen verlieren.
Ist die Offenheit jetzt unter dem Eindruck von Corona größer?
Engelhorn: Wenn alles wieder ins normale Fahrwasser geht, wird es sicherlich leichter. Zurzeit müssen wir alle im Handel – aber auch in der Industrie – schauen, dass unsere Schiffe weiter schwimmen und auch auf rauer See bestehen.
Ihr Online-Anteil lag vor Corona bei rund einem Drittel. Wo wird er sich nach der Pandemie realistischerweise einpendeln?
Engelhorn: Von den Umsatz-Anteiligkeiten her sind wir aktuell Online-Player. Aber das war ja nicht unser Ziel. Wie sich das nach Corona entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Unser Ziel ist es, auch weiter in Mannheim zu wachsen und hier noch mehr Menschen zu Engelhorn-Fans zu machen.
Sind die Engelhorn-Fans denn auch bereit, Versandkosten für Ihre Online-Bestellungen zu zahlen? Sie haben im Herbst eine Gebühr von 1,80 Euro pro Paket eingeführt – unabhängig vom Bestellwert.
Engelhorn: Wir haben uns in unserem 130. Jubiläumsjahr 2020 einige Ziele auf die Fahne geschrieben. Eines davon sind mehr Schritte in Richtung Nachhaltigkeit. Ein Teil davon sind Verpackung und Versand.
Engelhorn: Zum einen kompensieren wir den CO2-Abdruck des Versands. Außerdem verwenden wir nachhaltigere Verpackungsmaterialien, etwa recycelte Kartonagen, dünneres Material und kein Plastik mehr. Um dieses Thema zu finanzieren, haben wir uns entschlossen, diese Versandgebühr einzuführen und haben das so auch kommuniziert. Interessanterweise gab es kein negatives Feedback. Bei unseren dreistelligen Warenkörben fallen allerdings auch 1,80 Euro nicht so sehr ins Gewicht.
Den größeren Impact hätte es doch, wenn die Kunden auch ihre Retouren bezahlen müssten. Wann gehen Sie diesen Schritt?
Engelhorn: Da werden wir nicht der Erste sein können.
Warum nicht?
Engelhorn: Das zieht massive Themen im Prozess nach sich und viele ungeklärte Fragen. Wenn mehrere Teile bestellt und nur eines zurückgeschickt wird, muss der Kunde trotzdem die volle Gebühr zahlen? Da hat man schnell einen debitorischen Aufwand, der auch nicht gerechtfertigt ist. Ich halte ein Umdenken aber für absolut sinnvoll, im europäischen Vergleich sind die Retourenquoten in Deutschland immer noch am höchsten.
Was also tun?
Engelhorn: Unsere Strategie ist es, den Kunden auf sein Handeln hinzuweisen. Braucht er wirklich ein Teil in zwei oder drei Größen? Die Retourenquote ist ja aber jetzt in der Pandemie interessanterweise deutlich gesunken – nicht nur bei uns. Offenbar ticken viele der neuen Online-Kunden anders.
Noch mal ein Blick aufs stationäre Geschäft: Mit der neuen Retail as a Service-Fläche mit Vaund haben Sie neue Spitzen gesetzt, halten mit Sterneküche die Häuser spannend. Aber wo findet das Brot-und-Butter-Geschäft statt? Welche Rolle spielt das künftig im Unternehmen?
Engelhorn: Es wird immer einen ähnlich hohen Anteil haben. Aber es ist auch klar, dass eine Hemden-Parade im Erdgeschoss künftig nicht mehr sein muss. Partner wie Opus machen vor, wie man mittelmodische Produkte in einem attraktiven Preissegment faszinierend managen kann. Andererseits gibt es natürlich auch andere Beispiele in der Branche, die jetzt darunter leiden, weil sie diesen Sprung noch nicht geschafft haben. Das ist die große Aufgabe unseres Einkaufsteams, das in den nächsten zehn bis 15 Monaten neu zu schichten.