Kurt Parker ist Vice President Apparel bei Nike und forciert jetzt das Business mit Bekleidung, die Freizeitsportler in allen Lebenslagen begleiten soll - nicht nur beim Workout.
Sport treibt an. Den Look. Die Innovation. Und vor allem die Kunden. Die Grenze zwischen Sport und Mode löst sich auf. Das birgt riesiges Potenzial. Nike, größte Sportmarke der Welt, will es heben. Bekleidungschef Kurt Parker erklärt im TW-Interview, welche neuen Bedürfnisse die Kunden haben, ob Saisondenken noch zeitgemäß ist und ob er Designer-Sneaker für eine Konkurrenz hält.
14 09 11 05. Diese Zahlenfolge ist auf jedem Teil der Tech Pack-Linie zu sehen. Wer wissen will, was sich dahinter verbirgt, muss nur das Alphabet durchzählen. Der Code steht für Nike. Erst seit kurzem schmückt er die 2007 eingeführte Sportswear-Linie. Der Markenname als Zahlenreihe. Das verspricht Technologie. Dazu passend enthält die neue Tech Pack-Kollektion mehr Innovationen aus dem Performance-Bereich als je zuvor. Und nicht nur das ist dieses Mal anders.
Inwiefern?
Wir haben als erstes genau analysiert, was die Konsumenten heutzutage in ihrem Alltag durchmachen. Die Menschen stehen früh morgens auf, gehen zur Schule oder zur Arbeit und danach direkt ins Fitnessstudio – wir wollten also ein Produkt, das von einer Situation zur nächsten funktioniert. Dabei haben wir realisiert, dass der Bedarf an Innovation auch in unserer Sportswear-Kategorie immer wichtiger wird und die Anforderungen an die Bekleidung sich gar nicht so sehr von denen eines Athleten unterscheiden. Im Gegenteil, für einen ganzen Tag muss sie mitunter sogar mehr Funktion enthalten. Die Wettkämpfe unserer Athleten dauern oft ja nur zehn, vielleicht zwanzig Sekunden. Das Stadtleben hingegen erstreckt sich über einen ganzen Tag.
Wie haben Sie diese Erkenntnisse in der neuen Kollektion konkret umgesetzt?
Wir haben viele Ideen aus den Bereichen Running und Training übernommen. Tech Pack sieht so progressiv aus wie eine Sportswear-Kollektion, bietet aber die gleiche Performance wie die Ausrüstung unserer Athleten.
Welche Innovationen sind dabei eingeflossen?
Zum Beispiel haben wir ganz neue Materialien verwendet, etwa Leinen mit einer wasserabweisenden Metallic-Laminat-Beschichtung. Außerdem kamen viele hybride Qualitäten zum Einsatz, bei denen eine glatte, technische Oberfläche auf eine ganz softe Innenseite trifft.
Nike: Tech Pack-Kollektion für den 24/7-Athlete
Haben Sie auch etwas am Herstellungsprozess verändert?
Ja, wir arbeiten tatsächlich mit neuen Prozessen, die uns vor allem dabei helfen sollen, schneller zu werden. Im Knit-Bereich wenden wir computerbasiertes Design an. Das spart enorm viel Zeit, wenn es erst mal programmiert ist und lässt uns die Bekleidung auf eine Weise kontrollieren, wie es bislang nicht möglich war. Es sind viele kleine Schritte, die uns zum Ziel unserer Reise führen, und jeder einzelne ist enorm wichtig.
Vor rund zwei Jahren hat Nike die „Triple Double“-Strategie verkündet: 2x Direct, 2x Speed, 2x Innovation. Der Sportswear-Gigant zielt darauf ab, das direkte Geschäft mit den Konsumenten zu verdoppeln und die Produktionszeiten zu halbieren. Innovationen sollen sogar mehr als die Hälfte des Umsatzwachstums generieren.
Sie haben eben von Zeitersparnis gesprochen. Wie schnell können Sie bei der Kollektionserstellung heute überhaupt sein?
Uns ist sehr bewusst, dass die Verbraucher sich heute sehr schnell wandeln. Die Schnelligkeit zu erhöhen ist also entscheidend für uns. Für brandneue Innovationen brauchen wir länger, manchmal um die 18 Monate, aber im Allgemeinen pushen wir es sehr, die Produkte für die Verbraucher schneller verfügbar zu machen, um ihren Ansprüchen gerecht zu werden.
Verglichen mit der Modeindustrie sind 18 Monate ein sehr langer Zeitraum.
Ja, aber es handelt sich dann auch um Produkte, die wir noch nie zuvor gemacht haben. Entsprechend gibt es viele Materialkontrollen, mehrfache Tests mit Athleten und schließlich Verbraucherevaluationen. Bei einem bekannten Material in neuer Silhouette können wir recht schnell sein. Wir könnten das Tempo auch bei der Einführung eines neues Materials erhöhen, fühlen uns aber nicht wohl, bis wir die volle Bestätigung haben. Wir wollen nichts auf den Markt bringen, um dann zu merken, dass es nicht reif war. In dieser Hinsicht ist schneller nicht immer besser.
Die Grenze zwischen Sport und Mode verschwimmt. Die Kunden sind schon viel weiter. Die Marktanalyse:
Jetzt im E-Paper lesen
Zurück zur Tech Pack-Kollektion. Was hat das Design-Team um Jessica Lomax inspiriert?Die Linie lebt von Gegensätzen. Das betrifft zum einen unterschiedliche Wetterbedingungen. In einer Stadt ist es im Sommer sehr heiß, die Gebäude sind dann oft stark klimatisiert und der Verbraucher greift nach seiner Jacke. Wir haben versucht, Tech Pack an all diese Orte des Übergangs anzupassen. Es gibt also jede Menge leichte Sachen, die aber dafür gedacht sind, zusammen getragen zu werden. Vergleichbar mit dem Layering, wenn man zum Skifahren in die Berge geht.
Jessica Lomax: Vor kurzem ist sie nach New York gezogen und genießt die dortige Workout-Szene. Ursprünglich kommt Lomax aus Brighton in Großbritannien. Seit vier Jahren gehört die Designdirektorin zum Nike-Team. Zuvor war sie u.a. für Aquascutum tätig. Kurt Parker ist seit 1995 bei Nike, heute Vice President Apparel. Unter seiner Führung konnte die White Label-Kollektion große Erfolge verzeichnen, was schließlich zur Einführung von NikeLab beitrug. Eine weitere Station führte ihn als Creative Director zur Linie ACG (All Conditions Gear). Vor seiner jetzigen Position war er als Vice President und Creative Director für Footwear und Apparel der Kategorie Sportswear tätig.
Wo taucht der Gegensatz noch auf?
Wir haben uns außerdem überlegt, dass es in einer Stadt immer Zeiten gibt, in denen man gesehen werden möchte und in denen man sich lieber zurückzieht. Wer einfach nur schnell von einem Ort zum anderen kommen muss, will vielleicht nicht viel Aufmerksamkeit erregen. Kommt man dann an einem Ort an, an dem man sich sicher fühlt, will man möglicherweise expressiver sein.
Wie äußert sich das im Design?
Zum Beispiel über die Farben. Wir haben eher gedeckte Farben mit sehr leuchtenden zusammengebracht. Zum Teil sind die Produkte sogar wendbar, sodass man sie seiner Stimmung anpassen kann. Auch Materialhybride aus natürlichen Qualitäten wie Leinen und Performance-Stoffen stehen für diesen Gegensatz. Es dreht also also alles um Übergänge: von heiß bis kalt, von versteckt bis sichtbar.
Wie viele Linien überblicken Sie eigentlich?
Wir bedienen zwölf Sportarten. Innerhalb jeder Sportkollektion gibt es mehrere Kapseln und Angebote, für den Profi bis hin zum Nachwuchs. Es ist ein sehr breiter Zugang, der aber Expertise in jedem Bereich fordert. Oft geht das ineinander über. Wir erfahren immer mehr über die Anforderungen des Sprinters, des Fußball- oder des Tennisspielers. Was ihnen gemeinsam ist, können wir dann wieder auf andere Linien übertragen.
Apparel hat sich zuletzt dynamischer entwickelt als das Schuh-Business. Im Geschäftsjahr 2017/18 hat die Sparte mit einem währungsbereinigten Wachstum von 9 % die 10 Milliarden Dollar-Grenze geknackt. Das Unternehmen unterscheidet in Performance- und Sportswear-Kollektionen. Letztere stehen bei Mitbewerbern auch unter der Überschrift Lifestyle. Vor allem bei den Frauen sieht das Management um CEO Mark Parker großes Potenzial. Das Wachstum soll unter anderem mit saisonalen Head-to-toe-Kapseln befeuert werden.
Sie haben vorhin vom Layering gesprochen. Wie stark fließt die Outfit-Idee mittlerweile in Ihre Kreationen ein?
Dieser Gedanke ist wirklich enorm wichtig für uns. Wir waren in der Vergangenheit besessen vom einzelnen Produkt und haben weniger darauf geachtet, dass alles miteinander kombinierbar ist. Das steht jetzt absolut im Mittelpunkt. Die Konsumenten haben weder Zeit noch Platz für Dinge, die nur für eine bestimmte Gelegenheit gedacht sind – mal abgesehen vom Ballkleid vielleicht. Im Alltag brauchen Menschen Vielseitigkeit. Und wir kümmern uns darum.
Was ist schlecht daran, vom Produkt besessen zu sein?
Das ist nicht unbedingt schlecht, aber wir haben in der Vergangenheit zum Beispiel viel darüber nachgedacht, wie wir die Produkte noch leichter machen können. Wir ließen also Taschen weg, ließen Zipper weg, nur, um das zu erreichen. Und dann haben wir gemerkt: Die Verbraucher wollen ihr Handy einstecken, ihre Schlüssel mitnehmen. Manchmal können Ideen also richtig erscheinen. Setzt man sie dann aber um, zeigt sich, dass es vielleicht gar nicht die besten Lösungen sind.
Zum Outfit gehören auch die Schuhe. Denken Sie den gesamten Look einer Kollektion vom Sneaker her?
Es hängt davon ab, woran wir arbeiten. Wir machen derzeit mehr Kollektionen unter diesem Head-to-toe-Gedanken als jemals in unserer Geschichte. Oft sind sie direkt mit dem verknüpft, was wir für die Sneaker-Kultur tun. Zum Beispiel die Air Max-Kollektionen, die wir fast jede Saison auf den Markt bringen. Daneben gibt es die Bereiche wie Tech Pack, wo wir versuchen, die Grenzen von stylischer Sportswear und Performance aufzuheben. Da fügen sich Modelle wie VaporMax oder Flyknit Racer ganz organisch ein. Das Design hat vielleicht nicht am gleichen Ort angefangen, fügt sich aber am Ende perfekt zusammen. Weil beide Themen auf denselben Erkenntnissen von Nike Research basieren. Vieles ergibt sich also einfach ganz natürlich.
Aus dem Handel hört man oft, dass die Verbraucher das Styling heute auf dem Sneaker aufbauen. Deswegen funktionieren zum Beispiel verkürzte Hosen so gut. Sehen Sie das auch so?
Ich denke, das ist ganz unterschiedlich. Wir haben in der Vergangenheit auch viel Zeit damit verbracht, uns immer zu fragen, „Warum“. Warum würde man das tun? Warum macht man dies? Dadurch kreiert man aber eine gewisse Uniformität.
Und das ist nicht mehr zeitgemäß?
Genau. Bei den Verbrauchern dreht sich aktuell alles um persönlichen Ausdruck. Und jetzt fragen auch wir uns nicht mehr „Warum“ sondern „Warum nicht“? Das gibt einem Designer wirklich Frieden. Wenn wir bei dem Kern unserer Marke bleiben, bei der Grundidee von Sport und Innovation, ist das eine sehr starke Basis, von der aus wir unterschiedliche Dinge starten können. Und wir sind an einem Punkt, an dem der Verbraucher unsere Ideen akzeptiert.
Nike konnte zuletzt stärker mit Bekleidung wachsen als mit Schuhen, wenn auch auf kleinerem Niveau. Ist der enorme Hype um Sneaker ohnehin vorbei?
Darüber diskutieren wir auch viel. Die Welt verändert sich einfach sehr schnell. Und die Verbraucher darin ändern sich genauso schnell. Die Bewegung geht einfach hin zu Produkten, die für einen am besten funktionieren. Was auch immer man tut. Insofern werden Sneaker wichtig bleiben.
Wenn die Verbraucher sich immer schneller ändern, wollen sie auch immer schneller Neues sehen. Im Sneaker-Business sind Drops schon längst gang und gäbe. Wie ist das bei Apparel – denken Sie überhaupt noch in Saisons?
Wir müssen auch hier in Drops denken. Die Verbraucher fordern es. Sie sind sich der traditionellen Saisons gar nicht mehr bewusst, die in unserer Industrie noch existieren. Früher hat man etwas gesehen und musste warten, hat es vielleicht sogar nie in natura gesehen.
Und heute?
Die Erwartungshaltung ist eine ganz andere. Wir beschäftigen uns sehr damit, wie wir die Produkte auf den Markt bringen. Im Bereich Bekleidung ist das mit den Drops sehr neu für uns, aber wir wissen, dass es notwendig ist. Wenn wir heutzutage mit Tech Pack in die Kommunikation gehen, wollen die Konsumenten die Produkte sofort – und nicht erst später.
Apropos Kommunikation, auf welches Testimonial könnten Sie eher verzichten: Cristiano Ronaldo oder Virgil Abloh?
Beide sind sehr wichtig und wir lernen auch von beiden. Das ist einer der Gründe, warum Nike Apparel jetzt anders ist.
Können Sie das näher erläutern?Das Schlagwort der Stunde lautet Vielseitigkeit. Es geht nicht um den einzelnen Designer, der am Schreibtisch sitzt und versucht, alleine etwas zu kreieren. Er geht ins Gespräch mit unterschiedlichen Leuten.
Wie ist das Design-Team denn aufgebaut?Besonders toll ist unsere Internationalität. In jeder größeren Stadt der Welt sitzen Mitarbeiter von uns. Wenn die zusammen kommen, stellen wir fest, dass sich die Orte vielleicht in Nuancen unterscheiden, aber das Herz jeder Metropole schlägt immer ähnlich. Unser Fokus liegt in diesem Zusammenhang also klar darauf, auf die richtigen Stimmen zu hören. Ganz unabhängig davon, ob sie von Designern, Programmierern, Künstlern oder Sportlern kommen. Wir lernen und entdecken immer.
Bleiben wir bei der Stimme der Designer. Von welchen geht aktuell die größte Inspiration für Nike aus?
Das lässt sich so wirklich nicht mehr sagen. Früher war es schwierig, Informationen zu bekommen und zu wissen, was die Welt tut. Man musste auf die Catwalks schauen, um zu wissen, wo der Trend hingeht.
Wo schauen Sie heute hin?
Heute haben nicht mehr nur Designer einzigartige Perspektiven. Die Verbraucher sehen jeden Tag sämtliche Inspirationen auf ihren Smartphones. Deswegen ist es uns wichtig, dass in unserem Team sowohl Personen sind, die sich an Designern orientieren, als auch aktive Athleten.
Zudem ist Sportswear längst auf den Laufstegen dieser Welt angekommen.Eine unerwartete und interessante Entwicklung. Aber es ist fantastisch zu sehen, dass Grenzen überwunden sind. Es gab immer viele spezifische Regeln. Dinge, die man als Sportswear-Label tun oder eben auch nicht tun konnte. Jetzt gibt es eine sehr offene Konversation. Ich kann nicht erwarten zu sehen, wo das als nächstes hinführt.
Haben Sie keine Bedenken, dass der Turnschuh dann eben von Balenciaga oder Gucci statt von Nike gekauft wird?Nein. Was Nike von diesen Brands unterscheidet, ist die Innovation, die wir in unsere Produkte bringen. Die tiefen Einsichten, die wir von unseren Athleten erhalten, und die wir dann für die Verbraucher ausschöpfen können. Das hat Nike vom ersten Tag an ausgemacht und das bleibt unser Fokus. Je mehr Menschen an dieser Konversation teilnehmen, umso besser.
Wie tickt der Sport-Markt? Was sagen Manager und Einkäufer von großen Playern wie Globetrotter, SportScheck oder Engelhorn? Und was tut sich eigentlich im Sneaker-Business. Alle Trends, Einschätzungen und Informationen: Jetzt im E-Paper lesen