Bert Hoyt, Vice President EMEA bei Nike: "Wir glauben an die Idee des „fewer, better, bigger” Retail – also weniger Läden, die aber dafür größer und kompetenter sind."
TextilWirtschaft SPORTS: Herr Hoyt, die Fußball-WM ist gelaufen, Nike hat die beiden Finalisten ausgestattet und war auch sonst prominent vertreten. Wie lautet Ihr Fazit für das Mega-Event?Bert Hoyt: Für uns war es ein phänomenales Event. Wir haben Englands Harry Kane ausgestattet, den Gewinner des Goldenen Schuhs. Mit Luka Modri
ć hatten wir den besten Spieler des Turniers, mit Kylian Mbappé den besten jungen Spieler, um nur einige wenige zu nennen. 65% der Spieler haben unsere Schuhe getragen, 60% der Tore waren Nike-Tore. Und last but not least hat Frankreich das Turnier in Nike gewonnen.
Wie war die Markenstrategie für das Turnier?Wir haben eine andere Strategie als gewohnt gewählt und keine klassische Marken-Kampagne gefahren, sondern uns darauf konzentriert, jeden Tag einzelne Geschichten zu erzählen. Konsumenten in den europäischen Key-Citys wurden direkt mit einbezogen. So konnte man in London Trikots individualisieren, in Moskau haben wir uns darauf konzentriert, mit der Jugend den Sport zu feiern. Wir habe dazu die Box MSK aufgebaut, einen multifunktionalen Sportplatz für Fußball, Basketball und Training.
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Was ist die wichtigste Währung, um den Erfolg eines solchen Events zu messen?Natürlich ist die Business-Seite am greifbarsten. Hier können wir sagen: Die Region EMEA ist im vierten Quartal um 10% gewachsen, getrieben von starkem Plus im Fußball, Sportswear und Running. Global gesehen konnten wir mit Fußball im vierten Quartal sogar in dreistelliger Höhe zulegen. Die Teams aus Brasilien, Frankreich, England, Kroatien und Portugal haben das Geschäft mit den Kollektionen der Nationalmannschaften vorangetrieben. Und das Nigeria-Kit hat sich extrem schnell abverkauft – sogar deutlich schneller, als wir erwartet hatten. Aktuell produzieren wir mehr Frankreich-Trikots mit zwei Sternen auf der Brust, weil hier die Nachfrage deutlich gestiegen ist.
Wie lange wird dieser Effekt anhalten?Wir sehen hier viel Bewegung und eine gute Möglichkeit, diese bis zum nächsten großen Fußball-Event aufrecht zu erhalten – die Frauenfußball WM 2019 in Frankreich. Im Frauenfußball sehen wir generell viel Dynamik. Das ist ein klarer Wachstumsmarkt und eine gute Möglichkeit für uns. Weibliche Athleten zu bedienen und zu unterstützen ist ein Hauptanliegen unseres Geschäfts, egal um welchen Sport es geht.
Ist dieses Engagement wichtig für die Markenprofilierung oder sehen Sie im Frauenfußball auch einen Volumenmarkt?
Wir glauben, dass wir diesen Markt entwickeln können. Es gibt viel Energie, Anteilnahme und Passion in Nordamerika. Und in Europa sehen wir Gleiches in den Niederlanden als Folge des Europatitels, außerdem in England, Frankreich und Deutschland. Außerdem wurde Beyoncé kürzlich in einem Trikot von Paris Saint Germain gesehen, ebenso Kendall Jenner. Da scheint sich etwas Neues zu entwickeln - und wir wollen natürlich ganz vorne mit dabei sein.
Eingangs sprachen wir über den neuen Ansatz, die WM zu bespielen. Lässt sich das Prinzip auf andere Events übertragen?
Natürlich lernen wir von jedem großen Sport-Event. Das fängt damit an, mit den Konsumenten zu sprechen, ihnen zuzuhören, um jedes Mal stärkere, authentischere Verbindungen zu ihnen zu knüpfen. Im Fußball ist das besonders jetzt nach der WM, im August und im September wichtig, wenn die Saison wieder losgeht und die Kids zurück zum Training kommen, ihren Idolen nacheifern wollen. Das ist die wichtigste Phase im Fußball.
Was sind eigentlich die wichtigsten Erkenntnisse der WM?Für uns ist das die Fähigkeit, sich mit den Konsumenten zu verbinden, über komplette Nationalteam-Kits, für den Platz wie für die Straße. Das Trikot-Thema hat richtig gezündet. Die Nigeria-Kollektion ist dafür ein starkes Beispiel.
Wie viele Nigeria-Trikots haben Sie verkauft oder hätten Sie verkaufen können?
Wir nennen keine Zahlen, aber ich kann sagen, dass die Nachfrage sehr stark war, wir in Teilen ausverkauft waren. Die Schlüsselfrage ist: Was ist die richtige Menge? Ich glaube nicht, dass irgendjemand hätte vorhersagen können, dass die Nigeria-Trikots so ein großes Lifestyle-Thema werden würden. Und natürlich ist eine begrenzte Verfügbarkeit ein Faktor, der die Begehrlichkeit hoch hält. In jedem Fall werden wir weiter daran arbeiten, die richtige Balance zu finden, Kunden mit den Produkten zu versorgen, die sie nachfragen.
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Was sind die Stellschrauben, um flexibler zu werden?
Die gesamte Supply Chain muss sehr beweglich sein. Bei Trikots wäre es dann so, dass Qualitäten früh genug vorrätig sein müssen, damit wir, wenn sich eine Mannschaft im Turnierverlauf gut schlägt, direkt sagen können: Okay, lasst uns mehr Frankreich-Trikots, mehr Nigeria-Trikots produzieren. Dann muss man auch die Fähigkeit zu haben, sie schnell auszuliefern.
Wie sieht es in Deutschland aus? Wie läuft es und wer sind Ihre wichtigsten Partner?
Nike.com ist natürlich auch hier einer unserer wichtigsten Kanäle. Dazu zählen wir auch starken Zuspruch bei unserer SNEAKRS- und Training-App sowie in unserem Online-Shop. Parallel dazu arbeiten wir zum Beispiel sehr intensiv mit Zalando, einem unserer wichtigsten strategischen Partner. Insbesondere wenn es um weibliche Kunden und Sportlerinnen geht.
Was macht die Zalando-Partnerschaft besonders?
Sie geht weit über das Verkaufen von Produkten hinaus. Wir arbeiten gemeinsam daran, besondere Geschichten für die Konsumenten zu erzählen. Und wir haben geteilte Bestände. Das heißt, dass Zalando auch Produkte verfügbar hat, die nicht im eigenen Lager sind, weil sie bei uns liegen.
Wie hoch sind die Anteiligkeiten, die Zalando vorordert, wie hoch ist der Anteil an Nike-Produkten, der direkt über Sie geht?
Wir sprechen nicht über konkrete Details unserer Partnerschaften, aber unsere Zusammenarbeit ist sehr gemeinschaftlich. Ziel ist, Kunden mit den besten Produkt-Innovationen und Erlebnissen bedienen zu können. Wir entwickeln unsere Partnerschaft kontinuierlich weiter, arbeiten daran, Konsumenten bei jeder Interaktion bestmöglich anzusprechen. Es geht immer um die Idee des „Never disappoint” – der Konsument sollte nie enttäuscht werden, weil ein Produkt nicht verfügbar ist.
Für welche Märkte gilt dieses Modell?
Aktuell arbeiten wir in Deutschland damit, wollen das Modell jedoch auf die weiteren Zalando-Märkte erweitern.
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Wer ist Ihr größter Kunde in Deutschland?
Die Intersport-Gruppe ist unser größter Account und ebenfalls einer unser strategischen Partner. Darüber hinaus arbeiten wir mit der Deichmann-Gruppe sehr eng zusammen und bedienen auf diesem Wege viele Zielgruppen: Sneaker-Kunden mit Snipes und Solebox, weibliche Kunden mit Onygo. Für viele Familien sind die Deichmann-Läden eine wichtige Anlaufstelle. Dazu kommen Ochsner-Filialen der Gruppe für den Sportbereich. Natürlich sind Sport 2000 und spezialisierte Retailer für das Sport-Business ebenfalls wichtig.
Gibt es Pläne, das Prinzip der Shared Inventories, der geteilten Bestände, auszuweiten?Bisher arbeiten wir so nur mit Zalando zusammen. Aber wir beobachten den Markt weiterhin und legen dann fest, was im Sinne des Verbrauchers ist. Hier konzentrieren wir uns auf die großen Player, weil es einiges an digitaler Kompetenz bedarf, dieses System zu implementieren, man kann es nicht mit jedem machen.
Wie sieht die ideale Verteilung der Bestände aus?Das lässt sich pauschal nicht sagen. Wir sind immer der Meinung, dass es wichtig ist, wem die Ware gehört – weil bei dem Besitzer auch die Verantwortung liegt, dass die Ware verkauft wird. Es gab mal eine Zeit, in der alle Konsignations-Modelle wollten. Aber es hat sich gezeigt, dass oft weniger Motivation bestand, sich um den Verkauf zu kümmern. Unser Ziel ist, dass wir die Bestandsverhältnisse so halten, dass sowohl wir als auch Zalando in der Verantwortung stehen. Das Ziel ist immer dafür zu sorgen, dass die Produkte verfügbar sind, egal wo der Konsument unterwegs ist.
Wie sehen die Konditionen bei diesem Modell aus?
Auch hier sprechen wir nicht über Details. Der Schlüssel bei der Margen-Verteilung liegt in der Frage, wem die Ware gehört, wer das Kundenmanagement übernimmt sowie Versandkosten und Logistik.
Was hören Sie aktuell von Ihren wichtigsten Kunden? Wie ist das Business in einem herausfordernden Markt und nach einer anspruchsvollen Saison für viele Händler?Namen wie 11teamsports sind aktuell sehr erfolgreich, gleiches hören wir von Sneaker-Konzepten wie Overkill und Solebox und der Deichmann-Gruppe generell. Auch mit Foot Locker und der JD Group sind wir gut im Geschäft. Bei der Intersport ist es natürlich stark davon abhängig, welches Mitglied sie fragen. Hier ist es teilweise etwas anspruchsvoller, weil es sich großteils um Vollsortimenter handelt, die von Wintersport über Outdoor und Fahrräder bis hin zu Softgoods und Hartwaren oft alles im Angebot haben. Das kann dazu führen, dass man in einigen Segmenten etwas stärker vom Wetter abhängig ist.
Worin sehen Sie die größten Herausforderungen für diese Händler?
Wir glauben an die Idee des „fewer, better, bigger” Retail – also weniger Läden, die aber dafür größer und kompetenter sind. Nur einen Laden zu haben, reicht nicht mehr aus. Man braucht ein Erlebnis, das man anbieten kann. Und dieses Erlebnis muss eine digitale Experience selbstverständlich mit einbeziehen. Hier arbeiten wir eng mit Gruppen wie der Intersport zusammen, um effizienter zu werden, den Markenauftritt zu stärken, einheitlich aufzustellen. Wir treiben Partnerschaftsmodelle voran, die sich am Zalando-Beispiel orientieren. Immer, um den Konsumenten bestmöglich bedienen zu können. Aber das alles braucht natürlich etwas Zeit. Das macht man nicht mal ebenso in ein paar Saisons.
Gibt es konkrete Neuerungen, die anstehen?
Mit der Intersport sind wir bereits mit gebündelten Auslieferungen gestartet – nach dem Motto: „One Order, One Delivery”, sodass Kunden nicht verschiedene Sendungen geschickt bekommen, sondern eine. Die geteilten Bestände haben wir auch mit Sport2000 im Fokus und arbeiten an dem Projekt.
Welche Rolle spielt Amazon in dem Mix?
Wir glauben, dass wir mit den besten Retail-Marktplätzen zusammenarbeiten und mit Nike.com die erste Adresse im Netz für unsere Marke haben. Dazu kommen unsere „fewer, better, bigger” Partner, die es sehr gut verstehen, Konsumenten für Sport und Sportswear zu anzusprechen. Wir überprüfen den Markt permanent, um sicherzustellen, dass unsere Kunden stets die beste Produktinnovation und ein nahtloses Erlebnis bekommen.
Sie investieren in den direkten Zugang zum Konsumenten. Zuletzt mit einem neuen Format, dem Nike by Melrose Store in LA. Werden Sie dieses Konzept ausrollen?
Unsere Erfahrungen sind noch sehr frisch, aber wir erhalten positives Feedback. Die Location ist ein experimenteller Digital-meets-Physical Retail-Pilot. Alles, was wir dort „testen”, ist stark auf den Standort zugeschnitten.
Und in Europa?
Hier haben wir andere Konzepte, um tiefere Verbindungen mit unseren Kunden aufzubauen, zum Beispiel die Box Barcelona – eine Location direkt am Strand, in der wir zum Beispiel Yoga- und Lauf-Kurse anbieten. Man kann aber auch Produkte kaufen. Wenn wir etwas Ähnliches in Berlin starten sollten, wird es sich klar am Spirit der Stadt und der Community orientieren.
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Neuer Renner. Nike investiert weiter ins Laufsport-Segment. Neuester Umsatzbringer soll der Schuh Zoom Pegasus Turbo werden. Der Launch erfolgt zum Start der Leichtathletik EM in Berlin. Die Hauptstadt hat darüber hinaus für Nike einen neuen Stellenwert.
Welche Rolle spielen digitale Verknüpfungen in diesen neuen Locations?Sie sind extrem wichtig. Denn das Einkaufs-Erlebnis startet heute digital. Und es endet möglicherweise in einem physischen Geschäft. Und selbst dann muss es digital sein. Wenn du in den Melrose-Store gehst und etwas ist nicht vorrätig, musst du es trotzdem schnell bekommen können. Die Geschwindigkeit, die wir in Berlin mit Zalando entwickelt haben, wo wir den Auslieferprozess in derselben Stunde starten können, ist ein Richtwert. Es muss immer darum gehen, das Produkt extrem schnell zum Kunden bringen, selbst wenn es nicht im Laden liegt.
Welche klassischen Omnichannel-Services sind die wichtigsten?
Die einfachste Geschichte ist wohl „mobile POS“, also die Technik, die einem erlaubt, das Produkt mobil direkt beim Store-Personal zu bezahlen, ohne sich an der Kasse anstellen zu müssen. Damit konnten wir den Check-out-Prozess massiv beschleunigen und Kunden Wartezeiten ersparen.
Was zählt daneben?
Im Grunde ist es so: Den Laden ohne Tüte zu verlassen, ist eigentlich nicht akzeptabel. Also gilt: Ob das Produkt im Store ist oder nicht – wir können es sehr schnell zu dir bringen. Wenn du also Tourist in Berlin bist, muss der Schuh dorthin geliefert werden können, wo du übernachtest. Wenn du in Berlin lebst und etwas nicht besonders schnell brauchst, aber zu einem bestimmten Zeitpunkt, dann sollten wir das organisieren können. Das muss Shopping im stationären Handel leisten können. Im Idealfall ist das Produkt natürlich im Store. Denn das ist ja der Grund, warum jemand überhaupt in den Laden gekommen ist.
Um die Verbindung zum Konsumenten zu intensivieren und schneller mit Produkten reagieren zu können, gibt es bei Nike die sogenannte „Express Lane”. Was verbirgt sich dahinter?
Die Express Lane ist ein Weg in der Produktentwicklung, den wir in Europa aufgebaut haben, um Kunden-Feedback direkt in Produkte zu verwandeln, die wir deutlich schneller zur Marktreife bringen als zuvor. Air Max 270, Camo Pack und AF1 Triple White sind alles Produkte, die auf dieser Art Kunden- und Retail-Feedback basieren. Konkret läuft es so, dass wir zu bestehenden Modellen permanentes Feedback einholen und das in den Entwicklungsprozess neuer Varianten kontinuerlich einfließen lassen. Der Erfolg hat uns darin bestätigt.
Gibt es weitere Beispiele?
Ein weiteres unter vielen ist der 90s-Trend, der sich unter anderem in den Galonstreifen am Hosenbein zeigt. Trackpants mit dieser Inspiration sind auch in der Express Lane entstanden. Es ist wichtig, auch kleine Trends schneller aufzugreifen, noch bevor sie global sichtbar werden. Manche Trends sind in Europa früher dran, solche Bewegungen muss man erkennen können, um diese Informationen direkt in Produkte umzusetzen.
Halten Sie es für realistisch, dass Produkte in Zukunft dann gefertigt werden, wenn der Kunde sich zum Kauf entschieden hat?
Rein technisch ist das keine Frage. Das ist ja quasi ein Klassiker des Anzug-Geschäfts. Und das Ziel bei Schuhen ist auch, irgendwann 3D-Druck zu haben, der es erlaubt, genau das Produkt zu kreieren, das in dem Moment nachgefragt wird. Klar ist, dass hier Technologie der Schlüssel zum Erfolg sein wird. Wenn zu viel manuelle Arbeit involviert ist, wird es schwierig. Aber die technische Entwicklung ist schnell. Wir werden hier viele Innovationen sehen. Nur wann genau es so weit sein wird, dass der Schuh direkt aus dem 3D-Drucker kommt, lässt sich heute noch nicht sagen.
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