„Grab your dumbbells, I’m showing you five easy moves for your upper body” - Sätze wie diese bekommen Online-User aktuell besonders häufig zu hören. Denn der Trend rund ums Fitness-Training in den eigenen vier Wänden ist durch Corona und die damit einhergehenden Ausgangsbeschränkungen präsenter denn je. Aber wie wirkt sich das auf die Sportbranche aus? Eine Analyse.
Die Motivation der Kunden, in der Quarantäne Bodyweight-Workouts, Live-Yoga und Fitness-Challenges zu absolvieren, reicht von Bewegungsmöglichkeit bis Beschäftigungstherapie. Jetzt, da der stationäre Handel geschlossen ist und Online den einzigen Umsatzkanal darstellt, bergen diese für die Sportbranche aber auch ein enormales Umsatzpotenzial. Der Service-Aspekt trägt ebenso wie kluges Marketing zu Imagepflege, Kundenbindung oder gar Neukundengewinnung bei. Doch was bedeutet das in Zahlen – für Labels, Händler, Social Media-Plattformen, Fitfluencer und Co.? Welche Produkte werden konkret besser abverkauft? Wie sehen die Wege, um mit der Community in Kontakt zu bleiben, aber auch die konkreten Marketing-Aktivitäten aus?
Auch die Plattformen der Facebook Inc.-Gruppe (Facebook, Instagram, Whatsapp) stellen aktuell einen starken Anstieg in der Nutzeraktivität fest. Zwar geht dabei ein Großteil von den Messaging-Funktionen aus, aber auch die Feed- und Stories-Produkte werden stärker genutzt als noch vor der Pandemie, heißt es auf TW-Anfrage..
Das zeigt sich insbesondere bei einem Format: „Die Nutzung von Instagram Live ist signifikant gestiegen, da immer mehr Menschen diese Funktion nutzen, um mit ihren Communities im Austausch zu bleiben”, heißt es. In den USA ist die Zahl der Instagram Live-Aufrufe innerhalb einer Woche um 70% gestiegen, die Anzahl der Home-Workout-Beiträge (in Stories & Feed) hat sich dort innerhalb weniger Tage verfünffacht (29.3.-2.4.). „Eine ähnliche Entwicklung lässt sich gerade auch in Deutschland beobachten.” Diese Zahlen zeigen, wie groß das Potenzial ist, dass die Branchenteilnehmer sich nun zunutze machen können.
Aber auch Werbepartner, die Produkte diverser Sport-Labels und -Händler promoten, können vom Hype um Home-Workouts profitieren. Darunter auch Fitness-Influencerin Pamela Reif: „Auf Social Media ist ein unglaublicher Ansturmzu beobachten”, sagt sie. Auf Youtube hat sie in den letzten 30 Tagen 560.000 neue Abonnenten hinzugewonnen. Auf Instagram waren es 380.000 − und knapp 150 Millionen Impressionen, also Ansichten der Post- und Story-Inhalte. „Das ist auf jeden Fall den Workouts, in Kombination mit den Plänen, zu verdanken”, sagt die 23-Jährige. Denn mit ihren Videos, deren Frequenz sie aktuell stark erhöht hat, trainieren stündlich bis zu 300.000 Youtube-User gleichzeitig. In den letzten vier Wochen wurden Reifs Sport-Videos insgesamt 48 Millionen mal aufgerufen – das entspricht einem Anstieg von 440%.
Ein weiterer Bereich, der für User momentan besonders attraktiv und eng mit Workout-Themen verbunden ist, ist der rund um Clean Eating: „Was ich definitiv merke, ist, dass Food Content unfassbar gut ankommt und weitaus besser performt als sonst”, sagt sie. Das gilt für ihre Kooperationen mit Hej Nussriegeln ebenso wie für die Acai-Bowls von The Rainforest Company, an denen Reif beteiligt ist – und von denen 2019, also vor Corona, bereits über 1 Millionen Packungen verkauft wurden. „Auch die Kooperationspartner haben bestätigt, dass Postings in diesem Bereich noch einmal wesentlich besser in Swipe-ups, Klicks und Verkäufe konvertieren als üblich”, so Reif.
Während jene, die Home-Workouts anbieten, deutlich davon profitieren können, haben es Outdoor-Sportarten unterdessen schwerer. So etwa Bergsport-Arten wie Klettern, Wandern, Skiing und Snowboarding, die derzeit nicht ausgeführt werden können. Das bestätigt auch Extrem-Skier und Filmproduzent Stefan Ager, der Sponsoring-Verträge mit Labels wie Vaude, Atomic, GoPro und Red Bull hat. Statt gewohntem Berg-Content setzt er auf humorvolle Alternativen. So postet er Videos von sich, wie er das Vaude-Zelt auf dem Dach aufschlägt und von dort aus den Sonnenaufgang genießt oder fotografiert sich in voller Skimontur auf einem Bettlaken, fügt den Ausschnitt in ein Bergfoto ein – und versieht es mit der Caption: „Haters will say it’s photoshopped”.
Gemeinsam mit seiner Freundin Sarah Eppacher, die als Influencerin neben Outdoor- und Reise-Kooperationen auch einige Yoga-Inhalte postet, absolviert er nun vermehrt TikTok-Challenges. Diese sorgen für reichlich Zulauf in Engagement wie Abonnenten – und bescheren so auf lange Sicht auch den Produkten der Kooperationspartner mehr Views. „Die Accounts, die ihren Content jetzt auf kluge Weise in die eigenen vier Wände verlegen, gehören zu den Gewinnern. Und die schaffen es auch, weiter Umsätze damit zu generieren”, so Ager. „Das macht sich auch durch deutliche Followerzuwächse bemerkbar”, sagt Eppacher. „Das gilt für fast alle Accounts, die Home-Workouts, Yoga oder Meditation anbieten. Wenn man nachmittags online geht, sieht man ja immer jede Menge solcher Live-Videos”, sagt sie.
Zu den klaren Gewinnern zählen dabei Produkte aus dem Bereich Weight Training, die es mit einem Anstieg um 307% sogar auf Platz 8 der am stärksten wachsenden Bereiche geschafft haben – noch vor Handseife und Desinfektionsmittel (Platz 12) sowie Toilettenpapier (Platz 24). Auch der Umsatz mit Fitness-Equipment ist um 170% gestiegen, der mit Yoga-Equipment um 154%. Zu den Verlierer-Kategorien zählen all jene Sportarten, die ausschließlich außerhalb der eigenen vier Wände und somit derzeit nicht betrieben werden können. Das reicht von Gym-Bags bis zu Equipment für die Sportarten Baseball, Schwimmen, Golf, Volleyball, Klettern und Wandern.
Aber auch ein Blick auf die aktuellen Quartalszahlen (3. Quartal 2019, 29.2.) von Nike zeigt: Über das Direkt-Geschäft mit den Kunden konnte die Sport-Marke drohende Umsatzverluste größtenteils abwenden. Denn das Umsatzminus für die Region China, in der vor zwei Monaten noch mehr als 5000 Nike-Stores geschlossen waren, liegt lediglich bei 5%. „In einer Zeit der physischen Ladenschließungen auf der ganzen Welt wird uns unsere digitale Grundlage helfen, aus dieser Situation in einer noch stärkeren Position herauszukommen”, sagt Nike Inc-CEO John Dunahoe – und will die in China erfolgreiche Strategie als Blaupause für Europa und die USA nutzen. Denn das Digital-Plus in China lag in diesem Quartal bei über 30%.
Nike verzeichnete außerdem einen deutlichen Anstieg in der Nutzung seiner Fitness- und Trainings-Angebote, die Anzahl der wöchentlich aktiven User stieg um 80%. Die über die Nike-App erwirtschafteten Umsätze konnten im Quartal erneut fast verdoppelt werden. Ein Trend, der sich in China auch nach der Quarantäne weiter fortsetzt.
Aber wie? Welche Maßnahmen ergreifen Sport-Labels, um Kunden virtuell zu Workouts mitzunehmen? Zu welchen Challenges rufen Händler auf? Welche Inhalte bieten etwa Trainings-Apps jetzt, unter veränderten Bedingungen, an? Welche alternativen Services offerieren Fitnessclubs nun als Reaktion auf die Schließungen?
Die Möglichkeit, jetzt Nutzer für ein Produkt zu begeistern und so auch über die Krise hinaus an sich zu binden, dürften die Motivation hinter den zahlreichen kostenlosen Probezeiträumen sein, die derzeit angeboten werden. So gewährt etwa Adidas für 90 Tage freien Zugang zu seinen Trainings- und Running-Apps wie Runtastic, die Premium-Version des Nike Training Clubs ist derzeit kostenlos. Ebenso hat die Asics Studio-App aktuell ihre Paywall heruntergefahren. Die Peloton-Inhalte, die für gewöhnlich nur in Kombination mit dem labeleigenen Equipment funktionieren, sind in der aktuellen Situation auch ohne dieses nutzbar. Lifestyle-Fitness-Apps, die neben Sport- auch Cooking- oder Beauty-Inhalte anbieten und hinter denen teils bekannte bekannte Fitness-Influencer stehen, setzen ebenfalls auf gratis Trial Periods. Karena Dawn und Katrina Scott von Toneitup gewähren zum Beispiel 30 Tage kostenfreie Nutzung. Sweat, die App, die unter anderem Workouts von Kayla Itsines und Chontel Duncan enthält, offeriert einen kostenlosen Probemonat und tätigt zudem eine Spende von 100.000 Euro an den COVID-19 Solidarity Response Fund. Aber auch Fitness Instructor Kira Stokes, die sich mit ihrem Trainingsprogramm einen Namen gemacht hat, bietet dieses für ein freies 7 Tages-Trial an.
Ein weiterer Bereich, der im Quarantäne-Kontext derzeit an Bedeutung gewinnt, ist der rund um Mental Health und Achtsamkeit. Entsprechend gewähren auch Meditations-Apps wie Headspace dem medizinischen Pflegepersonal bis Ende des Jahres freien Zugang. Auf dem Account des Online-Therapie-Anbieters Talkspace meldet sich während der Corona-Krise jeden Tag ein Team-Member mit einem speziellen Topic zu Wort, das anschließend von der Community diskutiert werden kann.
Deutschlands erfolgreichste Fitness-Influencerin Pamela Reif im Gespräch
"Auf Social Media fehlt oft der Mehrwert"