"Meine Mutter schwärmte von den Göttern des Hollywood-Olymps", sagt Alessandro Michele.
Statt Mailand oder Paris hat sich Gucci als Ort für seine Live-Show Hollywood ausgesucht. Designer Alessandro Michele huldigt in seiner Kollektion Leinwand-Diven wie Marilyn Monroe, Rita Hayworth und Veronica Lake. Der perfekten Glitzerwelt versetzt Michele allerdings Risse. Denn Hollywood ist für ihn nicht nur eine Traumfabrik, sondern auch ein Ort des Gruselns.
Wer mit Alessandro Michele plaudern möchte, muss Frühaufsteher sein. Um 4.45 Uhr mitteleuropäischer Zeit bittet der
Gucci-Kreativdirektor zur Pressekonferenz über Zoom. Der Grund, warum der Designer diese frühe Stunde gewählt hat, ist einfach: Er ist aus Los Angeles zugeschaltet.
Statt Mailand oder Paris hat sich Michele als Schauplatz für seine Show die Metropole an der amerikanischen Westküste ausgesucht. Thema seiner Kollektion ist Hollywood. "Love Parade" hat er sie getauft. Es ist eine Hommage an Leinwand-Diven wie Marilyn Monroe, Rita Hayworth und Veronica Lake und Schauspielikonen wie Rock Hudson.
Michele nimmt vor einem roten Samtvorhang auf einem Regisseur-Stuhl Platz. Zu einem Sakko mit breitem Revers trägt er Jeans und ein Flanellhemd. Die langen schwarzen Haare wallen über seine Schultern. Seinen großen Auftritt hat er gerade hinter sich. Er wirkt etwas ermattet.
Mehr zum Thema
Kering-Konzern präsentiert Neunmonatszahlen
"Die Gucci-Party ist verschoben"
Die Luxusmarke Gucci hat seit dem Amtsantritt von Kreativdirektor Alessandro Michele eine rasante Entwicklung erlebt. Doch seit eineinhalb Jahren hat die Brand zu kämpfen. Nach einem ermutigenden ersten Halbjahr hat die Top-Marke des Kering-Konzerns wieder an Tempo verloren. Das Top-Management vertröstet den Kapitalmarkt auf das Weihnachtsquartal und setzt die Hoffnung auf die Jubiläumskollektion.
Keine Frage, es ist ein anstrengendes Jahr für ihn. Die Marke Gucci feiert ihr 100-jähriges Bestehen. Die Konzernmutter
Kering hofft, dass das Jubiläum der Brand einen Schub gibt. Nach Jahren des rasanten Wachstums, das mit Micheles Antritt 2015 eingesetzt hat, hat die Dynamik nachgelassen.
Hollywood-Gala: Gucci auf den Spuren von Marilyn Monroe, Rita Hayworth und Rock Hudson
Von Juli bis September lag der Retail-Umsatz von Gucci nur 2% über dem Niveau von 2019. Zu wenig, um den Kapitalmarkt in Euphorie zu versetzen. "Die Gucci-Party ist verschoben", urteilte Luca Solca, Analyst bei Bernstein. Alle Hoffnungen ruhen nun auf dem Weihnachtsquartal.
Auf Michele lastet viel Druck. Doch in dem Hollywood-Theater lässt er sich davon nichts anmerken. "Es ist wunderschön, wieder hier sein", sagt er. Für ihn ist es die erste Live-Show vor Publikum seit Ausbruch der Pandemie. Zu den Hochzeiten des Coronavirus experimentierte er mit Digitalformaten. Im Juli 2020 strahlte er zwölf Stunden im Internet aus. Bei dem Mammut-Streaming zeigte er nicht nur die Kollektion, sondern die gesamten Aufbauarbeiten gleich mit.
"Hollywood ist die Straße", sagt Alessandro Michele.
Jetzt sucht Michele wieder den direkten Kontakt zum Publikum. Los Angeles sei ein Heimspiel. "Hier bin ich zu Hause." Seine Mutter habe ihm die Leidenschaft für das Hollywood-Kino vermittelt. "Sie sprach unentwegt von den Göttern des Hollywood-Olymps. Wegen ihrer Kinopassion habe ich die Laufbahn des Designers eingeschlagen. Denn ursprünglich wollte ich Bühnenbildner werden." Auch die Marke Gucci sei eng mit dem Kino verbandelt. "Es gibt viele Marken, die mit dem gehobenen Bürgertum groß geworden sind. Das trifft auf Gucci nicht zu. Gucci ist die Marke des Jet-Set."
Mehr zum Thema
Deep Talk mit Alessandro Michele
„Guccio Gucci wäre der Erste auf der Tanzfläche“
Alessandro Michele lädt zum 100-sten Jubiläum von Gucci zu einer Party, bei der alle dabei sind. Tom Ford, Marilyn Monroe und Demna Gvasalia. Im Anschluss an seine Show stellte er sich den Fragen der Journalisten. Er sprach über die vielen Mini-Nobelpreisträger Italiens, den Unterschied zwischen Gucci und Dior und warum wir heute alle Paparazzi sind.
Doch anstatt nostalgisch in die goldene Zeit zurückzufallen, lässt Michele seinen Blick nach links, rechts, unten und nach vorne schweifen. Die neuen Hollywood-Götter sind nicht mehr die Schauspieler, die den Oscar in die Kamera halten, sondern die Menschen. Die Straßen Hollywoods sind der Laufsteg.
Es geht glamourös zu. Michele zeigt glänzende Smokings und bestickte Abendroben. Er vergnügt sich mit Federboas, Netzstrümpfen, langen Handschuhen und einem Schmuckdiadem, das an Elizabeth Taylors Kleopatra erinnert. Cowboy-Hüte, Leggings in grellen Farben und Radlerhosen brechen die Harmonie und stellen sicher, dass seine Show keine gewöhnliche Red Carpet-Gala wird. Mit SM-Motiven und "Sex Toys" zaubert er eine Prise Erotik hinein. "Ich lade Objekte mit Begehren auf."
Gucci Aria: Party mit Tom Ford und Balenciaga
In der seiner Kollektion blendet Michele die Härten der Stadt nicht aus. Für ihn ist Hollywood eine Traumfabrik, die nicht nur Träume wahr werden lässt, sondern auch vernichtet. Auf der einen Seite eine "Akropolis der Träume", wie er es in seinem Brief zur Kollektion ausdrückt. Auf der anderen Seite aber auch ein Ort des Scheiterns und der Überlebensangst, der weit entfernt vom himmlischen Paradies ist und – O-Ton Michele – auch "creepy" sein kann.
Hollywood ist genauso ambivalent wie der Film "House of Gucci", der bald in die Kinos kommt. Er schildert die Geschichte der Ermordung des Gucci-Erben Maurizio Gucci durch dessen Frau Patrizia Reggiani. In den Hauptrollen treten Lady Gaga, Adam Driver und Jared Leto auf.
Store to watch: Gucci Gaok in Seoul
Als ein Journalist von Alessandro Michele wissen will, welche Bedeutung der Film für ihn hat, wiegelt der Designer ab: "Mit dem Film habe ich persönlich gar nichts zu tun." Jared Leto sei ein Freund. Gucci habe den Kostümbildnern die Archive geöffnet. Mehr aber auch nicht. Hollywood mag Micheles zweites Zuhause sein. Aber ein Filmemacher ist er dann doch nicht.