Jutta Blocher im Gespräch

„Es kommt nicht auf die Flasche an, sondern auf den Geist

Jutta Blocher ist Managing Director und Head of Interior Design bei dem von ihr und ihrem Mann Dieter Blocher 1989 gegründeten Architektur- und Designbüro Blocher Partners.
Jutta Blocher ist Managing Director und Head of Interior Design bei dem von ihr und ihrem Mann Dieter Blocher 1989 gegründeten Architektur- und Designbüro Blocher Partners.

Eating is the new shopping. Das liest man seit einiger Zeit immer wieder. Dabei ist es gar nicht mal so neu. Für das Stuttgarter Architektur- und Designbüro Blocher Partners ist Food & Beverage (F&B) schon seit den 90er Jahren fester Bestandteil der Planung von Läden, wenn es die Räumlichkeiten zulassen. In Zeiten volatiler Kundenströme gewinnt das Thema wieder massiv an Bedeutung. Ein Gespräch mit der Markenexpertin Jutta Blocher,Managing Director und Head of Interior Design über Brand Building und die Rolle der Gastronomie dabei.


Frau Blocher, warum ist Markenbildung heute so wichtig?

Jutta Blocher: Wer es nicht schafft, zur Marke zu werden, Kunden zu Fans zu machen, der setzt seine Existenz aufs Spiel. Gerade Unternehmens- und Dienstleistungsmarken verfügen per se über keine typisch greifbare Form. Deshalb arbeiten wir den Markenkern heraus, entwickeln ihn strategisch weiter oder geben ihm ein neues Gesicht, je nach Aufgabenstellung. Mit dem Wissen um die Markenwerte implementieren wir eine Formensprache, die die Botschaft der Marke vielschichtig und emotional transportiert. So verleihen wir Marken eine greifbare Form, geben ihnen Raum, sich zu entfalten und machen das Abstrakte erlebbar.


Können Sie ein Beispiel nennen?
Ein auf der Verkaufsfläche integriertes Café ist oft ein Kundenbindungsinstrument, das als reines Serviceangebot über die Handelskompetenz hinaus dazu dient, die Verweildauer zu erhöhen und die Aufenthaltsqualität zu steigern. Gastronomie im Handel muss auch nicht unbedingt wirtschaftlich rentabel sein, Stichworte: Imagegewinn, Frequenz oder Mehrwert. Dagegen stehen zum Beispiel veritable Restaurants, die auch außerhalb der Öffnungszeiten Gäste empfangen. Bei einer gewissen Eigenständigkeit ist natürlich auch eine ganz eigene Adressbildung gefordert.

Für welche Art von Betrieben macht ein Branding Sinn, für welche nicht?
Mit F&B lässt sich prinzipiell jedes Haus sinnvoll abrunden. Zunächst ist Gastronomie mehr denn je ein willkommener Baustein, um sich im Wettbewerb zu profilieren und zu differenzieren; umso mehr, wenn es so viel Vergleichbares und Austauschbares gibt. Das heißt aber, dass so ein Ort verlässlich sein muss und das Vertrauen rechtfertigt, das Kunden in die Dachmarke setzen. Es kommt also darauf an, von Fall zu Fall die richtige Antwort zu finden, damit die Bande zwischen Marke und Kunde geknüpft werden können. Von einem trendigen Department oder Pop-up-Store erwarten Kunden innovative Gastro-Konzepte, ausgefallene Produkte, Experimentierfreude. All das kann und muss ein alteingesessener, traditioneller Betrieb nicht leisten.

Wie hoch ist die Bereitschaft zur umfassenden Markenpolitik?
Das hängt immer auch davon ab, wie weitsichtig und veränderungsbereit jemand ist. Und wie beratungsaffin. Marken müssen in Bewegung bleiben, um nicht irgendwann als überholt zu gelten. Hierbei spielt F&B eine wichtige, wenngleich nicht die entscheidende Rolle. Das große Ganze muss stimmen, sonst hilft auch Gastronomie nicht. Beispiel The Store im Berliner Soho House. Ich finde es beeindruckend, wie dieser Concept-Store jenseits von Produkten und Dienstleistungen Markenpolitik betreibt, nämlich durch gelebte Gastlichkeit. Die Aufenthaltsqualität ist enorm, überall Sitzgelegenheiten, Community Tables, Stühle und Lounge- Ecken. Das hat schon Co-Working-Atmosphäre. Mich würde nicht wundern, wenn hier auch mitgebrachte Getränke konsumiert werden dürften.

Anhand welcher Kriterien erarbeiten Sie Konzepte?
Wir arbeiten das Besonders jedes Ortes heraus und übersetzen seine Qualitäten in erlebbare Situationen. Und der Ort hat heute nicht mehr zwangsläufig eine feste Form, deshalb sagen wir „Space″ – also ein Raum, in dem ich auf vielerlei Arten kommunizieren und in Beziehung zu Menschen und Produkten treten kann. Ich sehe unsere Leistung dann auch darin, Gesprächsangebote zu schaffen, Menschen zu vernetzen, sie auf eine Reise einzuladen, kurz: für Begegnungen und Erfahrungen zu sorgen. Und dazu gehört zweifellos ein gut gemachtes gastronomisches Angebot.

Was ist noch wichtig?
Letztlich geht es um eine Brand-Evolution, die sämtliche Kommunikationskanäle umfasst, um den Geist einer Marke weiterzutragen. Dafür kreieren wir vielschichtige Welten rund um stationäre Orte und digitale Services und bedienen uns je nach Marke und Budget den Möglichkeiten, die zeitgemäßes emotionales und technisches Design bietet. Schön allein reicht heute nicht mehr. Ich sage immer: Es kommt nicht auf die Flasche an, sondern auf den Geist.

Drei Beispiele: Gastrokonzepte im Modehandel



Was empfehlen Sie den Unternehmen: selbst betreiben oder verpachten?
Ein Gastro-Konzept selbst zu entwickeln und zu betreiben, ist für den Händler sicher die größere Herausforderung, aber auch die Chance auf noch mehr Reputation. Eine etablierte Marke ins Haus zu holen, wie das etwa die BMW Welt mit Feinkost Käfer gemacht hat oder Breuninger mit Sansibar am Standort Stuttgart, ist eine sichere Bank. Dann gibt es das Modell, wie für Garhammer und Engelhorn realisiert. Johanns und Opus V funktionieren als Stand-alone-Lösungen. Weil sich beide Restaurants auch Sterne erkocht haben, gibt das den Handelshäusern noch einmal einen schönen Schub für das eigene Geschäft, also für Frequenz und Umsatz.

Wer wie Opus V oder Johanns zur starken Marke wird, hat eine ganz andere Strahlkraft, zieht auch Menschen von weit her an, die der Handel so nicht erreichen würde. Das gilt im Übrigen auch für die Berichterstattung in nationalen und internationalen Medien: Hier ist es die Gastronomie, die dem Standort Tor und Tür öffnet.

Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit in Kaufräume auch Gasträume integriert werden?
Eine sinnvolle Erschließung ist Voraussetzung; am besten ist der Gastro-Bereich räumlich und zeitlich unabhängig von den Handelsflächen bespielbar. Das bringt den Vorteil, dass die Non-Food-Markenwelt umso nachhaltiger im Bewusstsein der Zielgruppen wirken kann, denn die Menschen verbringen auch noch einen Teil ihrer Freizeit im Dunstkreis der Einkäufe. Herzblut gehört dazu und selbstverständlich ein gutes Konzept, das auf die Marke einzahlt.

Zum Beispiel?
Wie eingangs schon erwähnt, stehen vor allem innovative Händler in der Pflicht. Wer mit zeitgeistigen Produkten zu tun hat und in schneller Taktung immer neue Anreize bietet, von dem erwarten Kunden und Gäste, dass dieser Anspruch auch gastronomisch erfüllt wird. Mir fallen da das älteste vegetarische Restaurant der Welt ein, das Hiltl hoch oben im PKZ Women an der Zürcher Bahnhofstraße, aber auch Selfridges in London; das Pariser Merci oder Kastner & Öhler mit der Rooftop-Gastronomie Freiblick in Graz gehen ähnliche Wege.

Das vollständige Interview mit Jutta Blocher lesen Sie in dem in der dfv Mediengruppe erschienenen neuen Fachbuch „Gasträume“. Zu beziehen ist es über den dfv Fachbuch Shop.
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